5.3.1 Kurvenintegrale
Eine Zusammenfassung der Definition und die bisherigen Aussagen
zu diesem Thema in mehr mathematisch orientierter Form lautet wie folgt:
Gegeben ist ein Kurvenstück
im
mittels der
Parameterdarstellung (Abb. 5.3)
Abbildung 5.3:
Raumkurve im
 |
Sind die drei Funktionen
differenzierbar, so ist das Kurvenstück
glatt. In einem Raumgebiet
, das die Kurve umschließt, ist außerdem
eine Vektorfunktion definiert
Die Definiton des Kurvenintegrals ist dann
Für die Kurvenintegration kann man eine Reihe von Rechenregeln
bereitstellen:
1. Die Substitution
mit
ändert den Wert des Kurvenintegrals
nicht
Für die Physik bedeutet dies: Bewegt man einen Massenpunkt in einem
Kraftfeld entlang einer Kurve von
nach
, so spielt es bei der
Berechnung der Arbeit keine Rolle, ob man den wirklichen Bewegungsablauf
betrachtet (
Zeit) oder den Massenpunkt in irgendeiner
anderen Weise (
) auf der gleichen Kurve bewegt.
2. Es gibt eine Reihe von Standardregeln wie
Die zweite Gleichung besagt: Wird das Kurvenstück in umgekehrter
Richtung durchlaufen, so ändert das Kurvenintegral sein Vorzeichen. Die
Regel folgt natürlich aus
3. Sind
und
zwei glatte Kurven, die aneinander anschließen,
so gilt
Kurvenintegrale lassen sich also nicht nur über glatte Kurven, sondern
auch über beliebige, zusammenhängende Kurven berechnen.
4. Sozusagen als Erweiterung der dritten Regel kann man Zerlegungssätze
betrachten. Im Weiteren wird insbesondere der folgende Zerlegungssatz
benötigt: Eine Vektorfunktion
ist in einem
Gebiet
des
definiert. In
existiert ein Flächenstück
, das von einer geschlossenen Kurve
, die in einem bestimmten Sinn
durchlaufen wird, umrandet ist. Man zerlegt die Fläche durch einen Satz von
Kurven in umrandete Teilbereiche (Abb. 5.4).
Abbildung 5.4:
Zerlegungssatz für Kurvenintegrale
 |
Es gilt dann der Zerlegungssatz
Hier wurde die übliche Schreibweise für Integrale über geschlossene
Kurven
(ohne oder mit Pfeil, um die Umlaufrichtung zu kennzeichnen)
benutzt. Der Beweis dieser Aussage beruht auf der Bemerkung: Jede der Kurven
innerhalb des Gebietes
, die zur Zerlegung benutzt wurde, wird zweimal in
entgegengesetzter Richtung durchlaufen. Die Beiträge der Zwischenstücke
heben sich heraus und es bleibt der Beitrag der Randkurve
.
Eine Frage spielt bei der Anwendung von Kurvenintegralen
eine besondere Rolle: Unter welchen Bedingungen ist ein
Kurvenintegral zwischen zwei Punkten unabhängig von dem Integrationsweg?
Unter welcher Bedingung gilt für verschiedene Wege zwischen zwei
Punkten
und
(solange diese Wege in dem Gebiet liegen, in dem
die Vektorfunktion definiert ist)
Das folgende Beispiel (Abb. 5.5) zeigt zunächst, dass Wegunabhängigkeit nicht
unbedingt vorliegen muss.
Abbildung 5.5:
Zur Wegunabhängigkeit von Kurvenintegralen
 |
Bildet man das Kurvenintegral mit der Vektorfunktion
und den Kurven
von dem Koordinatenursprung der
-
Ebene zu dem Punkt
,
so findet man für den Weg
parallel zu den Koordinatenachsen
Für den Weg
entlang der Diagonalen im ersten Quadranten erhält
man dagegen das Resultat
Um die Frage nach der Wegunabhängigkeit zu beantworten, benötigt
man zwei Aussagen.
1. Es ist einfach, die folgende Aussage zu beweisen:
Ist

, so folgt

ist wegunabhängig.
Aufgrund der Voraussetzung gilt
Fasst man den Ausdruck in der Klammer mit Hilfe der Kettenregel zusammen und
integriert, so findet man
oder im vollen Detail
Das Kurvenintegral hängt nur von den Werten der Funktion
am Anfangs-
und am Endpunkt des Kurvenstücks ab, es ist also wegunabhängig.
2. Es ist etwas aufwendiger zu zeigen, dass auch die Umkehrung dieser
Aussage gilt:
Ist

, so
folgt

.
Gemäß Voraussetzung kann man schreiben
wobei das infinitesimale Wegstück
parallel zur
-Achse
gewählt wurde (Abb. 5.6).
Abbildung 5.6:
Illustration der Argumentation in dem Beweis der Relation zwischen
Kurvenintegration und Gradientenbildung
 |
Mit der Definition der partiellen Ableitung in der
-Richtung
und der Parameterdarstellung des Kurvenstücks
folgt
Wendet man den Mittelwertsatz der Integralrechnung auf diesen Ausdruck
an, so erhält man
Ein entsprechendes Argument gilt, wenn
parallel zur
- oder
zur
-Achse gewählt wird.
Die beiden Aussagen

ist
wegunabhängig und
sind also völlig gleichwertig. Die erste Aussage impliziert, dass
eine Klasse von Vektorfunktionen (nämlich die, die als Gradient einer
Skalarfunktion dargestellt werden können) existiert, für die das
Kurvenintegral wegunabhängig ist. Die zweite Aussage bestätigt dann:
Es gibt keine andere Klasse von Vektorfunktionen, für die
Wegunabhängigkeit gegeben ist.
Man kann diese Aussagen noch etwas variieren.
3. Falls
ist, so folgt
Ist das Kurvenintegral wegunabhängig, so verschwindet das Kurvenintegral über
geschlossene Kurven.
4. Für jede differenzierbare Vektorfunktion mit
ist gemäß den
Rechenregeln des Nablakalküls
Für eine Vektorfunktion mit wegunabhängigen Kurveninegralen gilt also
immer
.
Diese Argumente kann man folgendermaßen zusammenfassen. Es liegen vier
äquivalente Aussagen vor
Ist eine der Aussagen gültig, so folgt daraus die Gültigkeit der anderen
drei. Hat man z.B. für ein Vektorfeld
verifiziert, dass in
einem Gebiet
die Rotation verschwindet, so ist man sicher, dass das
Kurvenintegral über eine geschlossene Kurve in
verschwindet, bzw.
das Kurvenintegral wegunabhängig ist oder
als Gradient einer
Skalarfunktion darstellbar ist.
Diese Aussagen sind, wie in Buch.Kap. 3.2.3 ausgeführt, für die Diskussion des
Energiesatzes von Interesse, desgleichen in der Elektrostatik.
Die nächste Klasse von Integralen mit Vektorfunktionen sind die
etwas komplizierteren Oberflächenintegrale.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008