
Somit sind die oben angedeuteten Differentialgleichungen von erster Ordnung für die
Funktion
(linke Spalte) beziehungsweise von zweiter Ordnung für die Funktion
. (Verabredet man, dass in einer Differentialgleichung nur die gesuchte Funktion
und deren Ableitungen sowie die unabhängige Variable auftreten sollen, so
ist
keine echte Differentialgleichung für
.)
Die drei einfacheren Fälle sind Spezialfälle der allgemeineren Differentialgleichung
zweiter Ordnung für die Funktion
Die generelle Aussage
kann man direkt illustrieren. Ein vollständiger Beweis wäre langwieriger.
Die Aussage `allgemeine Lösung` beinhaltet, dass keine weiteren Bedingungen
an die Lösung gestellt werden. Der Begriff Integrationskonstante
wird sofort klar werden.
Die Illustration besteht darin, dass man von möglichen Lösungen
einer Differentialgleichung, die
Konstante enthalten, ausgeht und
zeigt, dass die Funktionen in jedem Fall auf eine Differentialgleichung von erster, zweiter,
dritter, Ordnung führen. Die Behauptung ergibt sich durch
Umkehrung dieser Überlegungen. Die erste Vorgabe lautet
Aus den Gleichungen
Aus diesen Überlegungen kann man den Schluss ziehen: Jede einparametrige Kurvenschar wird durch eine Differentialgleichung erster Ordnung charakterisiert. In Umkehrung dieser Aussage kann man auch feststellen: Die allgemeine Lösung einer Differentialgleichung erster Ordnung ist eine einparametrige Kurvenschar. Den Parameter nennt man dann die Integrationskonstante. Einige Beispiele zur weiteren Übung sind:
| Kurvenschar | Gleichung | Differentialgleichung | ||||
| Geradenschar | ||||||
| Parabelschar | ||||||
| Parabelschar | ||||||
| Kreisschar |
|
|||||
Die Geraden der Schar verlaufen durch den Koordinatenursprung, die Parabeln der ersten Schar
sind parallelverschoben, die der zweiten Schar gehen ebenfalls durch den Koordinatenursprung
und unterscheiden sich durch Öffnung und Orientierung (nach oben bzw. nach unten). Die
Mittelpunkte der Kreise liegen auf der
-Achse und die Kreise berühren sich alle im
Koordinatenursprung. Das erste und das dritte Beispiel zeigen, dass eine
`geringfügige` Änderung der Differentialgleichung zu einer
deutlichen Veränderung des Charakters der Kurvenschar führen kann.
Eine zweiparametrige Kurvenschar wird durch eine Gleichung der Form
Zur Elimination der zwei Parameter benötigt man nun drei Gleichungen. Diese sind
| Kurvenschar | Gleichung | Differentialgleichung | ||||
| Geradenschar | ||||||
| Parabel/Geradenschar |
|
|
||||
| Ellipsenschar |
|
|
||||
Die Argumentation kann fortgesetzt werden. Am Ende steht die
Aussage: Eine
-parametrige Kurvenschar wird durch eine Differentialgleichung
-ter
Ordnung charakterisiert, oder in Umkehrung:
Die allgemeine Lösung einer Differentialgleichung
-ter Ordnung enthält
(Integrations-)konstanten.
Die Kenntnis der allgemeinen Lösung einer Differentialgleichung (geometrisch gesprochen der gesamten Kurvenschar) ist zwar nützlich, in vielen Fällen interessiert jedoch nur eine partikuläre Lösung (eine der Kurven aus der Schar). Zur Auswahl einer Partikulärlösung hat man im Fall einer Differentialgleichung zweiter Ordnung zwei Möglichkeiten.
Betrachtet man als Beispiel
mit
und
, so sind die
Gleichungen
Es ist jedoch anzumerken, dass nicht jede Vorgabe zur Festlegung einer
Partikulärlösung führt. Betrachtet man, der Einfachheit wegen, die
Differentialgleichung erster Ordnung
mit der Forderung
, so stellt man fest, dass alle Lösungen diese Forderung
erfüllen. Keine der Lösungen für die durch die Differentialgleichung
charakterisierte Kreisschar
kann der Bedingung
genügen.
In der theoretischen Mechanik stellen Bewegungsprobleme Anfangswertprobleme dar:
Position und Geschwindigkeit sind zu einem
bestimmten Zeitpunkt (der Anfangszeit) vorgegeben. Randwertprobleme
treten in der Mechanik z.B. auf, wenn man die Schwingungen (die `
Eigenschwingungen` ) einer eingespannten Saite diskutiert. Da die
Variablen in diesem Fall Auslenkung als Funktion von Zeit und Position
entlang der Saite (also zwei unabhängige Variable) sind, steht eine
partielle Differentialgleichung
zur Diskussion, die erst im Zusammenhang mit
dem Thema Elektrodynamik (Band 2) eingehender diskutiert wird.
Bevor man, im nächsten Abschnitt, die Frage nach Lösungsmethoden für
Differentialgleichungen aufgreift, müsste man der Frage nachgehen: Welchen Anforderungen muss
eine Differentialgleichung genügen, damit sicher gestellt werden kann, dass eine Lösung
existiert und dass diese Lösung eindeutig ist? Konkret, für die explizite
Differentialgleichung zweiter Ordnung
würde man fragen, welchen
Anforderungen muss die Funktion
genügen, damit Existenz
und Eindeutigkeit der Lösung garantiert werden kann? Zur Beantwortung
dieser Fragen wird auf die einschlägige mathematische Literatur
verwiesen. Zu betonen ist jedoch, dass die Frage nach Bedingungen für
die Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen keine müßige Übung
ist. Bevor man sich um die explizite Lösung einer etwas schwierigeren
Differentialgleichung bemüht, ist es beruhigend zu wissen, dass die
Lösung existiert.