3.2.3 Lineare Koordinatentransformationen II
Nach dieser Aufbereitung einer kompakten mathematischen Sprache für die
Darstellung von Koordinatentransformationen folgen noch einige Details zu
Transformationen in der zweidimensionalen Welt. Die bisher betrachteten
Drehungen
kann man auf zwei verschiedene Weisen veranschaulichen.
Bei der bisherigen Interpretation wurde das Koordinatensystem gedreht, der Vektor
blieb unverändert. Die Transformationsgleichungen beschreiben den Zusammenhang zwischen
den Komponenten des Vektors bezüglich der beiden Koordinatensysteme.
Aus der Sicht des Vektors ist dies eine passive Betrachtungsweise (Abb. 3.22a).
Man kann jedoch auch den Standpunkt einnehmen, dass der Vektor gedreht und aus
der Sicht eines festen Koordinatensystem betrachtet wird. Die Transformationsgleichung besagt
dann: Der Vektor
ist gegenüber dem Vektor
um den Winkel
gedreht.
Die Illustration dieser Aussage kann direkt durchgeführt werden
Der Vektor
ist ein Vektor mit der gleichen Länge in der Richtung
. Aus der Sicht der Vektoren ist dies eine aktive Betrachtungsweise
(Abb. 3.22b).
Abbildung 3.22:
Passive und aktive Interpretation der Koordinatentransformation
 |
Eine allgemeine lineare Transformation im
hat die Form
Die Frage lautet: Was stellt diese Transformationsgleichung (in Matrixform) dar?
Falls
ist, reduziert sich die Aussage auf
In passiver Interpretation stellt man fest: Der Ursprung des Koordinatensystems
ist um den Vektor
gegenüber dem Ursprung des Systems
verschoben (Abb. 3.23a).
Der Vektor
aus der Sicht von
entspricht
dem Vektor
aus der Sicht von
. Bei aktiver Interpretation würde man sagen: Jeder Vektor
geht aus
durch Addition eines Vektors
hervor (Abb. 3.22b).
Abbildung 3.23:
Illustration von Transformationen im
: Translation
 |
Im Folgenden wird diese Parallelverschiebung nicht weiter berücksichtigt,
also nur die homogene, lineare Transformation
zunächst anhand von Beispielen, betrachtet. Dabei wird die aktiven Interpretation
benutzt. Das erste Beispiel ist
Abbildung 3.24:
Illustration von Transformationen im
: Drehstreckung
 |
Der ursprüngliche Vektor
wird gedreht und gestreckt
(Abb. 3.24). Sonderfälle einer solchen Drehstreckung sind
die reine Drehung und die reine Streckung
Das zweite Beispiel
stellt eine Projektion
auf die
- oder
-Achse (Abb. 3.25a) dar. Dabei
geht jeder Vektor
mit der gleichen
-Komponente in
den gleichen Vektor
über. Etwas allgemeiner wäre die Transformation
Dies ist eine Projektion auf die
-Achse mit einer Streckung (Abb. 3.25b).
Abbildung 3.25:
Illustration von Transformationen im
 |
Die angeführten Beispiele unterscheiden sich in der folgenden Weise:
In dem ersten Beispiel entspricht jedem Vektor
ein eindeutiger
Vektor
und umgekehrt.
Der Grund ist: Die Transformationsmatrix ist regulär. Die inverse Matrix ist
die Matrixgleichung
kann in der Form
aufgelöst werden.
Für die Projektion ergeben eine Vielzahl von Vektoren
den
gleichen Vektor
. Die Transformationsmatrix ist singulär. Es existiert
keine Inverse zu
und eine Auflösung in der Form von
ist nicht möglich.
Die beiden Beispiele entsprechen einer Grobklassifikation der möglichen
Transformationen.
Ist regulär |
| Drehstreckung |
Ist singulär |
| Projektionen. |
Eine Unterklasse der regulären Transformationen sind die
orthogonalen Transformationen. Diese sind durch die Aussage charakterisiert
Die Länge von Vektoren und die Winkel zwischen ihnen ändern sich nicht.
Orthogonale Transformationen sind längen- und winkeltreu.
Zur Charakterisierung der orthogonalen Transformationen benutzt man das folgende
Argument: Ausgehend von den Bildern zweier Vektoren
fordert man die Invarianz des Skalarproduktes
Setzt man auf der rechten Seite die Transformationsgleichungen ein, so erhält
man
Die beiden Seiten stimmen überein, falls für die Transformationsmatrix
oder
gilt. Die Inverse der Transformationsmatrix ist gleich der Transponierten
(vorausgesetzt die Inverse existiert).
Die Matrixgleichung entspricht im
drei einschränkenden
Bedingungen für die Transformation
oder explizit
Diesen drei Bedingungen kann man die Aussagen entnehmen:
Aus (1) und (3) folgt: Keines der vier Matrixelemente kann größer als
sein
(
).
Für die vier (reellen) Elemente existieren drei Bedingungen. Man kann also
ein Element bis auf die Einschränkung (i) beliebig vorgeben.
Die restlichen Elemente sind dann bis auf Vorzeichen durch die
(quadratischen) Bedingungen festgelegt.
Wählt man ohne Einschränkung der Allgemeinheit
so erhält man aus Gleichung (1)
Aus Gleichung (2) folgt
Substituiert man
aus Gleichung (3) und sortiert
nach
so findet man
Aus Gleichung (3) folgt dann
Die möglichen Vorzeichenkombinationen werden jedoch durch
Gleichung (2) eingeschränkt (vier anstatt acht
Möglichkeiten):
| Ist |
|
 |
| so folgt |
|
 |
| Ist |
|
 |
| so folgt |
|
. |
Es verbleibt somit
- (a) Ist
, so kann man die Matrix in der Form
darstellen. Sie beschreibt Drehungen um den Winkel
. Aus aktiver
Sicht entspricht der Drehung des Vektors
um den Winkel
die
untere Vorzeichenkombination.
- (b) Ist auf der anderen Seite
, so lautet die Darstellung der Matrix
Diese Transformation beschreibt Spiegelungen an einer Geraden mit der Steigung
durch den Koordinatenursprung.
Zur Überprüfung dieser Aussage folgt die einfache Rechnung:
Der (Einheits-)Vektor
mit der Richtung
und der Vektor
mit der Richtung
sind spiegelbildlich zu
der Geraden mit
(Abb. 3.26).
Abbildung 3.26:
Illustration von Transformationen im
: Spiegelung
 |
Dass es sich hier wirklich um eine Spiegelung (und nicht um eine Drehung)
handelt, ergibt sich aus der folgenden Überlegung: Ist
, so folgt
Vektoren in der Spiegelungsgeraden verändern sich nicht. Bei Drehungen
um einen Winkel
wird hingegen jeder Vektor verändert.
Spiegelungen und Drehungen unterscheiden sich noch in der folgenden
Weise: Bei Drehungen bleibt die relative Orientierung der beiden
Vektoren erhalten, bei der Spiegelung wird sie vertauscht.
Abbildung 3.27:
Orthogonale Transformationen im
: Zur Invarianz
des Skalarproduktes
 |
Dies ist mit der Forderung der Invarianz des Skalarproduktes vereinbar, da der Kosinus,
der in der Definition des Skalarproduktes auftritt, eine gerade Funktion ist.
Eine entsprechende Diskussion von linearen Transformationen im
ist deutlich aufwendiger, so dass nicht alle Details ausgeführt werden. Für eine Transformation
ist die Grobklassifikation wieder
Ist singulär
 |
| Projektionen (auf Geraden und Ebenen), |
|
so z.B. |
| eine Projektion auf die Achse |
| |
|
 |
Ist regulär
 |
| Drehstreckung (Schraubungen). |
Etwas eingehender sollen nur die orthogonalen Transformationen betrachtet werden.
Da die Kompaktform der Transformationsgleichungen genau die gleiche ist wie im
Fall des
, ergibt die Forderung nach der Invarianz des
Skalarproduktes wieder die Bedingung
die im Detail
entspricht. Es gibt sechs einschränkende Bedingungen, da eine Vertauschung
von
und
keine neue Aussage liefert.
Die ursprüngliche Transformationsmatrix enthält 9 Elemente. Mit den 6 Bedingungen
folgt die Aussage, dass orthogonale Transformationen im
durch (maximal) 3 Parameter charakterisiert werden.
Diese orthogonalen Transformationen entsprechen wiederum Drehungen (um beliebige
Achsen durch den Koordinatenursprung) und Spiegelungen (an Ebenen und Geraden,
die durch den Ursprung verlaufen). Die Erarbeitung der allgemeinen Form
der Transformationsmatrix ist jedoch einigermaßen langwierig (und hier
nicht von besonderem Interesse). Es werden deshalb für jede
der Möglichkeiten nur einige Beispiele mit allgemeineren Bemerkungen betrachtet.
Drehungen im
um die Koordinatenachsen lassen sich in einfacher
Form darstellen. So beschreibt z.B. die Matrix
aus aktiver Sicht die Drehung eines Vektors um den Winkel
um
die
-Achse gegen den Uhrzeigersinn. Direkte Rechnung ergibt
Abbildung 3.28:
Drehung um
-Achse: Aktive Sicht
 |
Die
-Komponente ist unverändert (wie es für eine Drehung um diese
Achse zu erwarten ist), die
-Komponenten unterliegen der schon
diskutierten Drehung in der Ebene (Abb. 3.28). Drehungen von Vektoren um die anderen
Koordinatenachsen werden durch Matrizen mit einer entsprechenden Struktur
beschrieben. So gilt z.B. für eine Drehung um die
-Achse
Aus aktiver Sicht beschreibt diese Matrix Drehungen von Vektoren um den Winkel
(in dem Uhrzeigersinn!).
Die Komplikationen, die bei der Drehung von Vektoren im
auftreten, werden durch die folgende Betrachtung verdeutlicht. Vergleicht man
und
so stellt man fest:
In dem ersten Fall (Abb. 3.29) wird ein vorgegebener Vektor zunächst
um den Winkel
um die
-Achse gedreht und dann um den Winkel
um die
-Achse.
In dem zweiten Fall werden die Drehungen in umgekehrter
Reihenfolge ausgeführt (Abb. 3.30). Berechnet man die Matrizen für die jeweilige
Kombination von Drehungen, so findet man
Offensichtlich gilt
. Das
Hintereinanderausführen von Drehhungen um verschiedene Achsen ist nicht
vertauschbar.
Abbildung 3.29:
Hintereinanderausführung von Drehungen im
: Sequenz

|
Abbildung 3.30:
Hintereinanderausführung von Drehungen im
: Sequenz

|
Animation zu den Abbildungen 3.29 und 3.30
|
|
Um dies direkt zu illustrieren, kann der Spezialfall mit
(jeweils eine Drehung um
gegen den bzw. im Uhrzeigersinn) dienen. Es ist dann
Offensichtlich sind die beiden transformierten Vektoren nicht gleich.
Die somit demonstrierte Nichtvertauschbarkeit von Drehungen um
verschiedene Achsen im
führt zu einigen Komplikationen
bei der Diskussion von Drehungen im
.
Zur Darstellung einer allgemeinen Drehung im
benötigt man
drei Parameter. So kann man z.B. eine Drehung um eine beliebige Achse
durch den Koordinatenursprung mit Hilfe von drei Winkeln beschreiben. Zwei dieser
Winkel legen die Richtung der Drehachse fest, der dritte Winkel
beschreibt die eigentliche Drehung. Eine Alternative (und die
Standardwahl) ist die Beschreibung einer allgemeinen Drehung durch die
Eulerwinkel.
In diesem Fall setzt man die Drehung aus Einzeldrehungen
um die
-Achse, die
-Achse (oder als Variante die
-
Achse) und die
-Achse zusammen (Details findet man in Buch.Kap. 6.3.4).
Bei der Diskussion der Drehbewegung (Kreiseltheorie) lässt sich diese
etwas aufwendigere Darstellung nicht vermeiden.
Spiegelungen an Koordinatenebenen im
werden
durch einfache Transformationsmatrizen dargestellt. Das Beispiel mit der
Matrixgleichung
beschreibt eine Spiegelung an der
-
Ebene (
).
Eine Transformationgleichung
für Spiegelungen an Ebenen, die eine Koordinatenachse (nicht aber eine
Koordinatenebene) enthalten, kann man mit den Schritten
- (1)
- Drehe die Ebene in eine geeignete Koordinatenebene,
- (2)
- Spiegele an der Koordinatenebene,
- (3)
- Drehe die Ebene in die Ausgangsposition zurück.
Für eine Ebene, die die
-Achse enthält (siehe Abb. 3.31) und einen Winkel
mit der
-Achse einschließt, sind diese Schritte
- (1)
- Drehung um die
-Achse um einen Winkel
,
- (2)
- Spiegelung an der
-
Ebene,
- (3)
- Drehung um die
-Achse um einen Winkel
,
insgesamt also
Abbildung 3.31:
Transformationen im
: Spiegelung an Ebenen
 |
Berechnet man das Matrixprodukt aus den einfachen Zutaten, so erhält
man
Mit dieser Matrix kann man demonstrieren, dass sich
- (a)
- ein Vektor entlang der
-Achse nicht verändert,
- (b)
- ein Vektor entlang einer Geraden, die Schnittlinie der
-
Ebene
und der Spiegelebene ist, nicht verändert.
- (c)
- ein Vektor entlang der
-Achse in einen Vektor übergeht,
der mit dieser Achse einen Winkel
einschließt.
Führt man zwei Spiegelungen hintereinander aus, so z.B. Spiegelungen
an Ebenen durch die
-Achse, die die Winkel
und
mit
der
-Achse einschließen, so erhält man
Die beiden Spiegelungen ergeben eine Drehung um die
-Achse (der
Schnittgeraden der beiden Ebenen) um den Winkel
(dem doppelten Winkel zwischen den beiden Ebenen). Wieder kann man
feststellen, dass die Reihenfolge der Operationen nicht vertauschbar
ist. Die Drehung, die sich aus der Sequenz
ergibt, wird durch
beschrieben,
also eine Drehung in umgekehrter Richtung.
Eine letztes Beispiel für eine Transformation im
ist
Eine derartige Transformation beschreibt eine Spiegelung am Koordinatenursprung. Sie spielt als
Paritätsoperation
in der Quantenmechanik und der Elementarteilchenphysik eine Rolle.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008