2.2.1 Trennung der Variablen
Das Muster dieser Lösungsmethode liefert die Differentialgleichung erster
Ordnung mit der Form
beziehungsweise
Ein naiver, wenn auch nicht korrekter Zugang zur Lösung der vorgegebenen
Differentialgleichung erster Ordnung
ist der folgende: Man fasse `Zähler` und `Nenner` des Differentialquotienten als unabhängige, kleine (vornehmer
infinitesimale) Größe auf und schreibe
Die beiden Variablen sind getrennt.
Bildet man nun auf beiden Seiten
dieser Gleichung korrespondierende Integrale, die die Anfangsbedingung
beinhalten, so erhält man
Wenn man die Stammfunktionen zu den beiden Integralen kennt (bzw. die
entsprechenden unbestimmten Integrale berechnen kann), ist das Problem
gelöst
Hier tritt die Anfangsbedingung explizit auf. Fasst man die beiden
konstanten Terme zusammen und schreibt
so hat man eine allgemeine Form der Lösung, die gegebenenfalls nach
(oder
auch nach
) aufgelöst werden kann.
Die vorgestellte Argumentation ist, obschon in der Praxis durchaus
üblich, aus mathematischer Sicht nicht vertretbar. Der
Differentialquotient ist kein Bruch, sondern ein Grenzwert. Die korrekte
Argumentation liefert jedoch (glücklicherweise) das gleiche Resultat.
Das korrekte Argument besteht in dem Nachweis der folgenden Aussagen:
- Aus der Differentialgleichung
folgt die Relation
- Aus dieser Relation folgt die Differentialgleichung.
Die Argumentation zu Punkt 1 lautet: Schreibe die Differentialgleichung (unter der
Voraussetzung, dass eine Lösung existiert) in der Form
und bilde das unbestimmte Integral
Substituiere in dem zweiten Integral
mit der oberen Grenze
und erhalte wie zuvor
Zum Nachweis von Punkt
differenziert man diese Relation nach t
In dem ersten Term wird nach der oberen Grenze differenziert. Dies
ergibt den Integranden an der Stelle
. Der zweite Term wird mit der
Kettenregel behandelt
so dass sich
oder
ergibt.
Die Lösung der einfachen Differentialgleichungen
und
,
die bei der Diskussion von einfachen Bewegungsproblemen auftreten, erfordert
die zweifache Anwendung der Methode der Variablentrennung. Die einzelnen Fälle
sind folgendermaßen zu behandeln.
Fall 1:
Im ersten Schritt löst man (nach der Substitution
) die Differentialgleichung
mit der Anfangsbedingung
mittels Variablentrennung
und erhält
. Im zweiten Schritt
ist die Differentialgleichung
mit der Anfangsbedingung
in der
gleichen Weise zu behandeln. Das Ergebnis ist
Sofern die erforderlichen Integrale analytisch berechnet werden
können, ist die gesuchte Lösung gefunden.
Zur Übung kann man (noch einmal) den freien Fall mit Reibung in
einer Raumdimension betrachten (Buch.Kap. 2.1).
Die Vorgabe
mit den (speziellen) Anfangsbedingungen
führt auf die Lösung
Eine allgemeine Vorgabe
liefert
Fall 2:
Hier ist im ersten Schritt eine Substitution notwendig, bevor man Variablentrennung
anwenden kann. Man argumentiert: Die Umkehrung der Relation
kann man in die Relation
einsetzen und erhält
.
Die Kettenregel ergibt dann
Die Differentialgleichung, die somit zur Diskussion steht
 |
(2) |
kann mittels Variablentrennung behandelt werden. Mit den
Anfangsbedingungen
und der Definition
erhält man in expliziter Form
Zur Durchführung des zweiten Schrittes schreibt man dieses Ergebnis in
der Form
. Die entsprechende Differentialgleichung
kann ebenfalls mittels Variablentrennung gelöst werden
Nach Auswertung des Integrals und Umkehrung des Ergebnisses in der
Form
ist der Lösungsprozess beendet. Natürlich sollte die
Lösung eindeutig sein. Das Vorzeichen ist noch mit Hilfe geeigneter
(physikalischer) Argumente festzulegen.
Als Beispiel für die Gewinnung einer Lösung soll das harmonische
Oszillatorproblem dienen, obschon für dieses Problem (siehe Math.Kap. 2.2.2)
ein einfacherer Lösungsweg vorzuziehen ist. Die Differentialgleichung ist
Die Anfangsbedingungen seien
Zur Anfangszeit bewegt sich die Oszillatormasse in der positiven
-
Richtung und passiert den Koordinatenursprung. Variablentrennung ergibt
im ersten Schritt
Nach Auflösung
und Festlegung des
Vorzeichens durch die Anfangsbedingung
, liefert
Variablentrennung im zweiten Schritt
Die Stammfunktion dieses Integrals ist der Arcussinus
das Ergebnis lautet also
oder in Umkehrung
Die Amplitude
wird durch die Anfangsbedingungen
bestimmt. Der maximale Ausschlag ist proportional zu der
Anfangsgeschwindigkeit. Das Ergebnis für die Geschwindigkeit
kann man entweder durch direkte Differentiation von
oder durch Einsetzen von
in die Gleichung
gewinnen.
Zur weiteren Übung kann man noch den Satz von Anfangsbedingungen
betrachten. Die Oszillatormasse ist anfänglich in der positiven
-
Richtung ausgelenkt. Da zur Anfangszeit die Geschwindigkeit Null ist,
liegt ein Umkehrpunkt der Bewegung vor. Die Lösung lautet für diesen
Satz von Anfangsbedingungen
Der einzige springende Punkt gegenüber dem ersten Satz von
Anfangsbedingungen ist der Zeitpunkt der Festlegung des Vorzeichens.
Da
ist, findet die Festlegung erst in dem zweiten
Lösungsschritt statt.
Wie schon erwähnt, kann man das Oszillatorproblem direkter lösen.
Das hier vorgestellte Verfahren hat jedoch den Vorteil, dass es für
allgemeinere Vorgaben von
gangbar ist. Voraussetzungen für die
Gewinnung einer analytischen Lösung sind: Man kann alle vorkommenden
Integrale analytisch berechnen und das Endergebnis in der Form
umkehren.
Fall 3:
In diesem Fall kann die Methode der Variablentrennung wieder direkt angewandt
werden. Man schreibt die Differentialgleichung in der Form
und erhält
die Lösung
in der die Anfangsbedingungen eingearbeitet sind. Wertet man das
Integral aus, so kann man die Aussage
in der
Form
auflösen und in einem zweiten Schritt die Differentialgleichung
direkt integrieren
Als Beispiel soll noch einmal das freie Fallproblem mit Reibung dienen,
dieses Mal mit der Vorgabe
und den Anfangsbedingungen
Im ersten Schritt berechnet man
Um das Betragszeichen in der Umkehrung dieser Relation
aufzulösen, sind gegebenenfalls Fallunterscheidungen zu diskutieren.
Das Ergebnis
ist dann noch einmal zu integrieren. Das Endergebnis wurde schon unter
dem Fall 1 angegeben.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008