4.2.3 Richtungsableitung und Gradient
Für eine Funktion von zwei Variablen wurde
als der
Anstieg der entsprechenden Fläche in der
-Richtung und
als
der Anstieg der Fläche in
-Richtung interpretiert (Abb. 4.8a).
Diese Interpretation legt die Frage nahe: Wie berechnet man den Anstieg
in beliebiger Richtung? Zur Antwort betrachtet man eine Ebene, die
durch einen Punkt der
-
Ebene verläuft und senkrecht auf
dieser Koordinatenebene steht.
Der Winkel der Schnittgeraden in der
-
Ebene mit der
-Achse ist
. Die Ebene schneidet eine vorgegebene Fläche
in einer
Kurve
.
Als Richtungsableitung (bzw. als Anstieg dieser Fläche in
dem Punkt
in der Richtung
) bezeichnet man die Steigung der
Tangente an
über dem Punkt
(Abb. 4.8b).
Diese Größe ist wie folgt definiert
Man nähert sich also entlang der Geraden in der
-
Ebene dem Punkt
.
Abbildung 4.8:
Richtungsableitungen
 |
Man kann beweisen, dass dieser Grenzwert existiert, falls
- 1.
- die partiellen Ableitungen
und
existieren,
- 2.
- die partiellen Ableitungen auch stetig sind.
Der Beweisgang ist, in Andeutung, der folgende:
Man erweitert den Zähler des Differenzenquotienten in der folgenden
Weise
Auf die beiden Klammerausdrücke wird, für die jeweilige Variable,
der Mittelwertsatz der gewöhnlichen Differentialrechnung angewandt
Man erhält damit unter Benutzung der ersten Voraussetzung
Mit der zweiten Voraussetzung kann man, nach Division durch
, den
Grenzübergang direkt durchführen
Dieses Ergebnis ist nur gültig, wenn die auftretenden
partiellen Ableitungen stetige Funktionen von
und
sind.
Insbesondere gilt
Diese Betrachtungen können auf den Fall von Funktionen mit einer größeren
Anzahl von Variablen verallgemeinert werden. Bei einer Funktion von drei
unabhängigen Variablen
ist die Charakterisierung einer
Richtung im Raum erforderlich. Diese kann durch die Vorgabe eines geeigneten
Einheitsvektors, dessen Projektionen auf die Koordinatenrichtungen durch
gegeben sind, geschehen.
Die Winkel
sind die Winkel zwischen den Koordinatenachsen
und dem Vektor
. Man bezeichnet jedes der drei
Skalarprodukte als den
Richtungskosinus (in der jeweiligen Richtung).
Wegen der Darstellung
folgt
Für die Festlegung einer Richtung im
benötigt man
nur zwei Winkel. Der dritte ist dann (eindeutig) bestimmt.
Für die Ableitung der Funktion
in der durch
vorgegebenen Richtung erhält man aus der Definition
unter den gleichen Voraussetzungen wie im Fall von zwei Veränderlichen
den Grenzwert
Dieser Grenzwert beschreibt den Anstieg der Funktion
in dem
Punkt
in der Richtung
.
Im allgemeinen Fall
charakterisiert man eine
beliebige Richtung in einem
-dimensionalen euklidischen Raum durch
einen Einheitsvektor
Die
Richtungskosinuswerte beschreiben (eine orthonormale Basis
vorausgesetzt) die Projektion des Vektors
auf die
Koordinatenachsen (siehe Math.Kap. 3.1.3)
wobei wegen
die Einschränkung
gilt. Eine beliebige Richtung im
dimensionalen Raum wird
durch
Größen (Winkel) festgelegt.
Für die Richtungsableitung gilt dann, unter der Voraussetzung, dass alle
partiellen Ableitungen erster Ordnung in dem Punkt
stetig sind
Diese Aussage stimmt mit dem Ergebnis für
überein, nur muss man
wegen
die Umschreibung
vornehmen.
Es ist nützlich, den Begriff der Richtungsableitung in einer
alternativen Form zu fassen. Man definiert zu diesem Zweck den
Gradientenoperator
in Komponentenform schreibt man
Dies ist ein Differentialoperator mit Vektorcharakter. Eine andere,
übliche Schreibweise ist
Die Anwendung dieses
Operators auf eine Funktion
, d.h. eine skalare
Funktion, ergibt eine Vektorfunktion (eine Funktion mit
Komponenten,
vergleiche Math.Kap. 5.1)
oder in Komponentenform
Die Komponenten der Vektorfunktion
sind die
partiellen Ableitungen der Skalarfunktion. Mit Hilfe des
Gradientenbegriffes kann man die Richtungsableitung in der Form
darstellen. Die Richtungsableitung entspricht dem Skalarprodukt des
Gradienten von
mit dem vorgegebenen Richtungsvektor
. Die Richtungsableitung ist somit eine skalare
Größe.
Zwei einfache Beispiele sollen die Antwort auf die Frage nach der
anschaulichen Bedeutung des Gradientenoperators vorbereiten. In
dem ersten Beispiel ist der Definitionsbereich die
-
Ebene
.
Die Funktion
stellt ein Drehparaboloid im
dar (Abb. 4.9a).
Die Höhenlinien dieser Funktion sind konzentrische Kreise um den
Koordinatenursprung. Der Gradientenvektor ist in diesem Fall
Benutzt man ebene Polarkoordinaten, so findet man
Der Gradientenvektor zeigt in die Radialrichtung (Abb. 4.9b).
Dies ist offensichtlich die Richtung des stärksten Anstiegs der
vorgegebenen Funktion.
Abbildung 4.9:
Der Gradientenvektor für ein Drehparaboloid
 |
Für die Richtungsableitung (den Anstieg der Funktion in beliebiger
Richtung
) gilt bei diesem Beispiel
Die Richtungsableitung ist maximal für
, sie
verschwindet für
, d.h. für eine Richtung
tangential an die Höhenlinie (Abb. 4.10).
Abbildung 4.10:
Zu der Beziehung zwischen Richtungsableitung und Gradient
 |
In dem zweiten Beispiel ist der Definitionsbereich der
, die
Funktion ist die Abstandsfunktion
Die Niveauflächen dieser Funktion sind konzentrische Kugelschalen um den
Koordinatenursprung. Für den Gradienten dieser Funktion gilt
bzw. in Kugelkoordinaten
Auch hier zeigt der Gradientenvektor in Richtung des stärksten Anstiegs
der Funktion.
Für eine allgemeinere Diskussion der Situation im
(Abb. 4.11) betrachtet
man die Richtungsableitung einer Funktion
in einem
Punkt
Abbildung 4.11:
Zur Interpretation des Gradienten
 |
In Richtung der Tangente an die Höhenlinie durch
gibt es keinen
Anstieg. Die Richtung der Tangente wird also durch
charakterisiert. Daraus ergibt sich
und
Die Richtungsableitung in Richtung der Tangente kann auf der anderen
Seite mittels
berechnet werden, woraus die Aussage folgt:
Der Vektor
steht senkrecht auf der Tangente an der
Höhenlinie.
Das Betragsquadrat des Gradientenvektors ist
.
Vergleicht man dies mit dem Betragsquadrat der
Richtungsableitung in der Richtung
so findet man, dass der
Anstieg in Richtung
kleiner ist als der Anstieg in
Richtung von
.
Dieses Argument demonstriert in allgemeiner Weise, dass
senkrecht auf der Tangente an die Höhenlinien steht und
die Richtung des stärksten Anstiegs markiert.
Entsprechend zeigt man für
: Der Vektor
steht in jedem Punkt senkrecht auf der Niveaufläche durch den Punkt
(Abb. 4.12).
Abbildung 4.12:
Illustration des Gradientenvektors
 |
Der Gradient kann mit einem weiteren Ableitungsbegriff in Verbindung gebracht
werden. Diese Größe ist das totale Differential.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008