3.2.1 Lineare Koordinatentransformationen I

Die Diskussion von Koordinatentransformationen im dreidimensionalen Raum ist schon einigermaßen unübersichtlich. Aus diesem Grund ist es angebracht, mit Betrachtungen in der zweidimensionalen Welt zu beginnen und zwar mit der folgenden Situation (Abb. 3.18): Gegeben ist ein Vektor , der auf ein kartesisches Koordinatensystem bezogen ist



Abbildung 3.18: Drehungen des Koordinatensystems im

Ein zweites Koordinatensystem, das um den Winkel gegenüber dem ersten System gedreht ist, wird als das gestrichene Koordinatensystem bezeichnet. Die Einheitsvektoren, die dieses Koordinatensystem aufspannen, sind und . Die Komponentenzerlegung des Vektors in Bezug auf das zweite System lautet


Es gilt, die folgende Frage zu beantworten: Wie bestimmt man und , wenn , und vorgegeben sind? Die Antwort erhält man, wenn man zunächst die Einheitsvektoren des gestrichenen Koordinatensystems durch die Einheitsvektoren des ungestrichenen Systems darstellt. Einfache Trigonometrie ergibt (siehe Abb. 3.19a)



Man hätte genau so gut umgekehrt vorgehen können und und durch die Basisvektoren des gestrichenen Koordinatensystems darstellen können (Abb. 3.19b). Die Umkehrformel erhält man aus den obigen Vektorgleichungen durch einfache Manipulation (Multiplikation mit , , Addition, etc.)




Abbildung 3.19: Relation zwischen den Koordinatensystemen

Vergleich der beiden Sätze von Transformationsgleichungen zeigt, dass, wie zu erwarten, der Winkel aus Sicht des ungestrichenen Systems dem Drehwinkel aus Sicht des gestrichenen Koordinatensystems entspricht. Die gewünschte Relation zwischen den zwei Sätzen von Komponenten des Vektors gewinnt man dann folgendermaßen:
(1)
Die zwei Zerlegungen beschreiben den gleichen Vektor. Es gilt also


(2)
Setzt man eine der Transformationsgleichungen, z.B. für die gestrichenen Basis, ein, ordnet die Terme und vergleicht die Koeffizienten der Einheitsvektoren auf beiden Seiten, so findet man



Die Umkehrung ist



Man stellt fest: Die Komponenten transformieren sich genau so wie die Basisvektoren. Die Transformationsgleichungen für die Basisvektoren sind jedoch ein Satz von Vektorgleichungen, die Transformationsgleichungen für die Komponenten ein Satz von algebraischen Gleichungen.

Die physikalische Bedeutung der Transformationsgleichungen ergibt sich aus der folgenden Interpretation: Nimmt man an, daß , die Bewegung eines Massenpunktes beschreiben und dass sich das gestrichene Koordinatensystem in irgendeiner vorgegebenen Weise gegenüber dem ersten dreht, so ergibt der zweite Satz von Transformationsgleichungen zwischen den Koordinaten die Beschreibung des Bewegungsablaufes aus der Sicht eines Betrachters, der mit dem gestrichenen Koordinatensystem verbunden ist (Abb. 3.20). Dass dies keine müßige Betrachtung ist, folgt aus der Tatsache, dass das Bezugssystem Erde (z.B. aus der Sicht eines Systems, das zwar die Bewegung der Erde um die Sonne, aber nicht die tägliche Rotation mitmacht) ein solches Koordinatensystem darstellt.


Abbildung 3.20: Zur Interpretation der Transformationsgleichungen


Animation zu Abbildung 3.20

Führt man eine weitere Drehungen des Koordinatensystems aus, so wird die Angelegenheit ein wenig komplizierter. Es ist nützlich, in diesem Fall mit drei Koordinatensystemen zu arbeiten:

1)
dem ungestrichenen,
2)
dem einfach gestrichenen, das wie zuvor um den Winkel gegenüber dem ungestrichenen gedreht ist,
3)
dem zweifach gestrichenen. Dieses ist um den Winkel gegenüber System 2 und dem Winkel gegenüber dem System 1 gedreht.

Abbildung 3.21: Drei Koordinatensysteme bei zwei Drehungen

Einen Vektor (der unverändert in der Ebene liegt) kann man in Bezug auf jedes der Koordinatensysteme in Komponenten zerlegen und es können Transformationsgleichungen zwischen den drei Sätzen von Komponenten angegeben werden. So ist z.B.



Um die Transformation von System 1 in System 3 zu gewinnen, kann man den ersten Satz von Transformationsgleichungen in den zweiten einsetzen. Dies ergibt z.B.



was wie zu erwarten, auch als



geschrieben werden kann. Die zugehörige Transformationsgleichung für die -Koordinate lautet



Das Hintereinanderausführen von Transformationen (hier einfachen Drehungen) wird durch das Einsetzen von Transformationsgleichungen ineinander korrekt beschrieben. Dieses explizite Einsetzen wird jedoch sehr unübersichtlich, wenn man entweder eine größere Anzahl von Transformationen hintereinander ausführen soll oder wenn man in höherdimensionalen Räumen arbeitet. Der Fall würde schon einen deutlich größeren Schreibaufwand erfordern. Ein elegantes Hilfsmittel zur Formulierung solcher Aufgaben ist die Matrixrechnung, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden soll.


< Mechanik     Mathematische Ergänzungen >       R. Dreizler   C. Lüdde     2008