5.3.3 Die Integralsätze von Gauß und Stokes

Die Darstellung von Vektorfeldern durch Feldlinienbilder bietet eine Einstimmung in diesen Themenkreis. Die Feldlinien sind Tangentialkurven an benachbarte Feldvektoren, die mit der Feldrichtung versehen sind. In dem einfachen Beispiel eines Gravitationsfeld der Masse , die im Koordinatenursprung sitzt,


sind die Feldlinien Halbgeraden, die radial (aus allen Richtungen) auf den Koordinatenursprung gerichtet sind (Abb. 5.14).

Abbildung 5.14: Kugelsymmetrisches Feld

Das Gravitationsfeld von zwei gleichgroßen Massen, die symmetrisch zum Koordinatenursprung auf einer Koordinatenachse angebracht sind, ist in dem Punkt


Die Geometrie und das entsprechende Feldlinienbild sind in Abb. 5.15 angedeutet.


Abbildung 5.15: Das Dipolfeld

In der Nähe der beiden Massen dominiert das eigene Feld. In dem Zwischenbereich sind die Feldlinien stark modifiziert. Die Feldlinien schmiegen sich an die Trennebene zwischen den Massen an. Das gesamte Bild ist rotationssymmetrisch bezüglich der Achse, auf der sich die Massen befinden. Dies ist ein Beispiel für ein Dipolfeld.

Würde man Punktladungen anstelle von Punktmassen betrachten, so hätte man in dem einfachsten Fall das elektrischen Feld einer (positiven oder negativen) Punktladung im Koordinatenursprung


Ein weiteres Beispiel ist das Vektorfeld



Abbildung 5.16: Feldlinienbild eines Magnetfeldes

Dieses Feld ist translationssymmetrisch bezüglich der -Achse. Für jede Ebene const. erhält man das gleiche Feldlinienbild. Die Feldlinien sind konzentrische Kreise um die -Achse (Abb. 5.16). Dieses Feld ist (bis auf konstante Faktoren) das Magnetfeld eines dünnen, stromdurchflossenen Leiters entlang der -Achse.

Die Oberflächenintegrale für die verschiedenen Felder


bezeichnet man als den Fluss der Felder durch die Fläche , insbesondere als Gravitationsfluss, elektrischen Fluss, magnetischen Fluss etc. Diese Terminologie hat ihren Ursprung in der Hydrodynamik. Dort betrachtet man z.B. das Geschwindigkeitsfeld einer stationären Flüssigkeitsströmung (Abb. 5.17). Jedem infinitesimalen Volumenelement wird ein Geschwindigkeitsfeld zugeordnet. Ist die Geschwindigkeit uniform und stellt man senkrecht zu der Strömung eine ebene Fläche , so ist ein Maß für die Flüssigkeitsmenge, die pro Zeiteinheit durch die Fläche strömt. Ist die ebene Fläche gegen die Strömung geneigt, so ist das Maß das Skalarprodukt .

Abbildung 5.17: Hydrodynamischer Fluss

Ist die Strömung nicht uniform und/oder die Fläche nicht eben (Abb. 5.18), so ist der Geschwindigkeitsfluss


Die Übertragung dieses Flusskonzeptes auf den Fall eines beliebigen Vektorfeldes erfordert, dass man als Maß für die `Stärke der Strömung` die Anzahl der Feldlinien (normiert z.B. auf eine vorgegebene Masse, Ladung, Stromstärke), die durch die Fläche hindurchtreten, benutzt.

Abbildung 5.18: Zur Definition des Flusses

Für das Gravitationsfeld einer Punktmasse in dem Koordinatenursprung ist der Fluss durch eine Kugelfläche mit Radius um den Koordinatenursprung


Das Resultat ist unabhängig von dem Kugelradius, also für jede Kugel um den Koordinatenursprung gültig. Dies entspricht der vorgeschlagenen Interpretation. Die gleiche, normierte Anzahl von Feldlinien greift durch jede dieser Kugelflächen (Abb. 5.19a).

Man würde das gleiche Ergebnis erwarten, wenn man eine beliebig geformte, geschlossene Fläche um den Koordinatenursprung legt.


Im Rahmen der vorgeschlagenen Interpretation des Flusskonzeptes wäre dieses Ergebnis verständlich. Durch die beliebige Fläche tritt die gleiche Anzahl von Feldlinien wie durch jede der Kugelflächen (Abb. 5.19b).

Abbildung 5.19: Der Fluss einer Punktmasse im Ursprung

Für eine beliebige geschlossene Fläche , die den Koordinatenursprung nicht enthält, sollte dann gelten


Hier treten genauso viele Feldlinien in die Fläche hinein wie hinaus. Der Nettofluss ist demnach Null (Abb. 5.20). Den Beweis dieser Aussagen liefert das unten diskutierte Gaußtheorem.

Abbildung 5.20: Fluss durch eine Fläche, die den Massenpunkt nicht enthält

Eine übliche Interpretation dieser Situation ist: Der Massenpunkt ist eine Quelle des Feldes. Etwas allgemeiner und präziser unterscheidet man

Abbildung 5.21: Illustration von Quellen und Senken

Quellen und Senken (Abb. 5.21a,b). Aus einer Quelle treten Feldlinien aus, in eine Senke laufen sie hinein. Berechnet man den Fluss durch eine geschlossene Fläche um eine Quelle/Senke, so ist dieser ungleich Null. Berechnet man den Fluss für eine geschlossene Fläche, in der sich keine Quelle/Senke befindet, so verschwindet der Fluss.

Die quantitative Fassung dieser Situation liefert der Satz von Gauß, der auch als Divergenztheorem bezeichnet wird.


Abbildung 5.22: Zum Satz von Gauß

Dieses Theorem lautet



In Worten besagt das Theorem: Ist der Integrand eines Volumenintegrals die Divergenz eines Vektorfeldes, so ist dieses Volumenintegral gleich dem Oberflächenintegral der Vektorfunktion über die Begrenzung von (Abb. 5.22). Die (geschlossene) Fläche ist, entsprechend der Standardverabredung, so orientiert, dass nach außen zeigt. Die Einschränkung der Form des Bereiches bedeutet, dass der Bereich konvex ein soll (Abb. 5.23).


Abbildung 5.23: Klassifikation von Volumina

Um das Theorem zu beweisen, schreibt man die linke Seite der Gleichung explizit aus


In dem ersten Term


kann der Integrationsbereich explizit angegeben werden, wenn man die Begrenzung in eine Boden- und eine Deckelfläche bezüglich der Richtung unterteilt (Abb. 5.24)


Hier benutzt man die Beschränkung auf ein konvexes Volumen. Das Dreifachintegral ist dann


Das verbleibende Zweifachintegral über und ist über die Projektion des Volumens in die - Ebene () zu berechnen. Dieser Bereich muss nicht näher spezifiziert werden. Die Integration über die Koordinate ist trivial. Die Stammfunktion ist und man findet



Dies ist jedoch genau der erste Term des Oberflächenintegrals (bei kartesischer Zerlegung und Doppelbelegung der Fläche ) auf der rechten Seite der Gleichung. Eine entsprechende Betrachtung für die Terme und liefert dann den vollständigen Beweis.

Abbildung 5.24: Zum Beweis des Gaußtheorems

Von der Beschränkung auf konvexe Bereiche kann man sich relativ leicht befreien. Man kann z.B. ein Volumen mit einer Einschnürung mittels einer Trennfläche in zwei konvexe Teilbereiche zerlegen (Abb. 5.25a). Für die Teilbereiche gilt



Addition beider Aussagen ergibt auf der linken Seite das Volumenintegral über den Gesamtbereich. Auf der rechten Seite hebt sich bei Addition der Beitrag der Trennflächen heraus, da die beiden Teilflächen von und in jedem Punkt entgegengesetzt orientiert sind (Abb. 5.25b).

Abbildung 5.25: Nichtkonvexe Volumina

Es bleibt das Oberflächenintegral über die Begrenzung des Gesamtvolumens.

Ein praktischer Aspekt des Gaußtheorems ist die Umschreibung von Oberflächenintegralen in Volumenintegrale und umgekehrt. Je nach Situation kann es einfacher sein, das eine oder das andere Integral zu berechnen. Ist z.B. die Aufgabe gestellt: Berechne das Oberflächenintegral mit dem Vektorfeld für ein Ellipsoid um den Koordinatenursprung mit den Halbachsen , , , so ist die Berechnung von


möglich, doch recht aufwendig. Wegen folgt mit dem Satz von Gauss


Das Theorem liefert auch eine gewisse Veranschaulichung des Begriffes `Divergenz`. Für ein Zentralfeld


und für eine Kugelfläche um den Koordinatenursprung ergab das Oberflächenintegral


Anhand der Divergenz dieses Feldes


kann man feststellen: Für alle Raumpunkte außer dem Koordinatenursprung gilt


und es folgt


Die Divergenz eines Zentralfeldes (mit punktförmiger Quelle) verschwindet im gesamten Raum, außer an dem Koordinatenursprung. Für diesen kann man zunächst keine Aussage machen.

Mit dem Satz von Gauß kann man für eine geschlossene Fläche, die den Ursprung nicht enthält, folgern


Ein beliebiges Volumen um den Koordinatenursprung kann man in ein Kugelvolumen um den Koordinatenursprung und eine Anzahl von Teilvolumina, die den Ursprung nicht enthalten, zerlegen (Abb. 5.26). Da die Beiträge der Trennflächen sich infolge der Orientierung herausheben, folgt


Die Teilflächen ohne Koordinatenursprung tragen nicht bei, so dass gilt



Abbildung 5.26: Zerlegung einer beliebigen Fläche um einen Massenpunkt

Zu der Situation im Koordinatenursprung kann man aus der Sicht des Gaußtheorems


bemerken: Das Volumenintegral hat einen endlichen Wert, obschon für alle Punkte außer dem Koordinatenursprung verschwindet. Somit kann für nicht verschwinden


Da jedoch der Beitrag zu dem Integral sozusagen von einem einzigen Punkt kommt, muss hier eine außergewöhnliche Situation vorliegen. In der Tat trifft man hier auf eine neue Klasse von mathematischen Objekten und man schreibt


Die `Funktion` auf der rechten Seite bezeichnet man als die (Diracsche) Deltafunktion. Sie ist jedoch keine Funktion sondern eine Distribution[*]. Eine naive Vorstellung von dieser Distribution, die jedoch mathematischen Ansprüchen in keiner Weise genügt, könnte lauten: hat an jeder Stelle außer für den Wert Null.

Abbildung 5.27: Naive Illustration der -Funktion

In diesem Punkt ist sie singulär () und zwar so, dass das Integral


den Wert hat (Abb. 5.27). Offensichtlich kann man solche Objekte mathematisch sauber nur durch eine Erweiterung des Funktionsbegriffes fassen.

Unabhängig von diesen Bemerkungen gilt es festzuhalten: Für eine Punktquelle (ein Zentralfeld) gilt


Der Punkt, in dem die Feldquelle (oder Senke), ein Massenpunkt oder eine Punktladung, sitzt, ist durch , der restliche Raum durch charakterisiert. Die Divergenz des Vektorfeldes beschreibt somit die Verteilung der Quellen des Feldes in differentieller Form. Über das Gaußtheorem gewinnt man eine entsprechende Aussage in Integralform, in der Form von Oberflächenintegralen über geschlossene Flächen. Alle Oberflächenintegrale, die den Quellpunkt einschließen, ergeben , also Raumwinkel mal `Quellstärke`.

Man kann diesen Tatbestand etwas allgemeiner fassen. Man legt um einen Punkt des felderfüllten Raumes ein infinitesimales Volumen . Aus dem Divergenztheorem folgt dann


oder im Sinne eines Grenzwertes


Die Divergenz des Vektorfeldes hat die Dimension Feldfluss pro Volumen. Da es sich um einen Nettofluss handelt, kann man diese Flussdichte auch als Quelldichte bezeichnen. Positive Quelldichte in einem Punkt entspricht einer echten Quelle, negative Quelldichte entspricht einer Senke.

Entsprechende Aussagen gelten nicht nur für `Punktquellen` sondern auch für ausgedehnte Quellen. Zum Beweis berechnet man zunächst in direkter Weise das Gravitationsfeld einer Kugel mit homogener (aus makroskopischer Sicht) Massenverteilung


Die Masse ist (siehe Math.Kap. 4.3)


Zur Berechnung des Gravitationsfeldes unterteilt man das Volumen in infinitesimale Volumenelemente an der Stelle (Abb. 5.28a). Der Beitrag dieses Volumenelementes zu dem Gravitationsfeld an der Stelle ist


Die Beiträge aller Massenelemente sind dann im Sinne einer Grenzwertbetrachtung zu addieren.


Es sind drei (!) Volumenintegrale zu berechnen. Bevor man sich an deren explizite Berechnung macht, ist die folgende Überlegung nützlich: Zu jedem Volumenelement an der Stelle gibt es ein diametral gelegenes, das in dem Punkt einen gleich großen Beitrag liefert.

Abbildung 5.28: Berechnung eines Gravitationsfeldes einer Kugel mit homogenen Massenverteilung

Die Vektorsumme der Feldbeiträge der beiden Volumenelemente ist ein Vektor in Radialrichtung (Abb. 5.28b). Das Gravitationsfeld der homogenen Massenverteilung mit einer Kugelgestalt ist ein Radialfeld. Explizite Integration ergibt




Die folgende, explizite Auswertung kann übersprungen werden.

Es erscheint nützlich die Rechenschritte, die zu diesem Ergebnis führen, in einigem Detail anzugeben, da sie als Muster für ähnliche Auswertungen dienen können. Zur Berechnung von


kann man infolge der Symmetrie den Feldpunkt auf die -Achse legen, so dass für den Feldpunkt und die Integrationsvariable die Aussagen gelten



und


Wegen


folgt


mit


wobei substitutiert wurde. Zur Berechnung des inneren Integrals sind die Schritte notwendig



Mit den Fallunterscheidungen



erhält man für


und


für


und


Infolge der Symmetrie kann wieder durch und durch ersetzt werden.


Die Feldstärke wächst zunächst linear mit r und fällt dann wie ab (Abb. 5.29).


Abbildung 5.29: Radiale Variation des Gravitationsfeldes einer Kugel mit homogenen Massenverteilung

Das Feld einer homogenen Kugel unterscheidet sich im Außenbereich nicht von dem Feld einer gleich großen Punktmasse, die im Zentrum angebracht ist. Für die Divergenz dieses Gravitationsfeldes erhält man


bzw. wenn man für den Fall die Masse einsetzt


Dies hat wieder die Form Raumwinkel mal Quelldichte und man kann feststellen: Für alle Raumpunkte, an denen Feldquellen (Masse) sitzen, ist . Für alle Raumpunkte an denen sich keine Feldquellen befinden, ist . Die Divergenz des Feldes beschreibt die Verteilung der Feldquellen und deren Stärke ( ). Die Tatsache, dass eine Quellenverteilung mit scharfem Rand vorliegt, äußert sich in einem Sprung von (Abb. 5.30).

Abbildung 5.30: Illustration der Divergenz des Gravitationsfeldes einer Kugel mit homogener Massenverteilung

Das zweite zentrale Integraltheorem der Vektoranalysis ist das Theorem von Stokes. Es führt unter anderem zu einer gewissen, anschaulichen Interpretation des Begriffes der Rotation eines Vektorfeldes. Das Theorem lautet



Das Oberflächenintegral über die Rotation eines Vektorfeldes ist gleich dem Kurvenintegral über den orientierten Rand von (Abb. 5.31a). Die Orientierung des Randes und die Orientierung der Flächenelemente , sind gemäß dem Zerlegungssatz über die Rechte-Hand-Regel (oder Schraubenregel) verknüpft (Abb. 5.31b).


Abbildung 5.31: Zum Satz von Stokes

Der Beweis dieses Theorems folgt dem Muster des Beweises des Divergenztheorems. Da jedoch hier in beiden Integralen Skalarprodukte von Vektoren auftreten, sind die Details etwas langwieriger.

Man zerlegt zunächst die Fläche (orientiert durch die Randkurve) in Teilbereiche (Abb. 5.32). Für jeden Teilbereich gilt


Es gilt


da sich die Beiträge über die Trennkurven herausheben, und entsprechend bei beliebig feiner Unterteilung



Abbildung 5.32: Beweis des Stokeschen Satzes: Zerlegung und Projektion

In einem zweiten Schritt betrachtet man eine (genügend feine) Zerlegung der gekrümmten Teilbereiche in infinitesimale Bereiche parallel zu den Koordinatenebenen (Abb. 5.33a).


Abbildung 5.33: Beweis des Stokeschen Satzes

Man erhält auf diese Weise z.B. für die Beiträge parallel zur - Ebene (Abb. 5.33b)



Dies wird gemäß



sortiert und in der Form


zusammengefasst. Der Bereich ist die Projektion von auf die - Ebene. Summation aller solcher parallelen Beiträge in dieser Koordinatenebene ergibt


wobei der Bereich die Projektion von auf die - Ebene ist. Entsprechendes zeigt man für die Bereiche parallel zur - und - Ebene




Insgesamt gilt somit


Eine Erweiterung des Theorems ist für Anwendungen in der Physik nützlich. Man betrachtet nicht nur die Situation, dass die Vektorfunktion auf der Fläche definiert und stetig differenzierbar ist, sondern die Variante (Abb. 5.34): Ist eine Vektorfunktion in einem Raumgebiet definiert und stetig differenzierbar, so gilt für jede Fläche , die ganz in liegt und die die gleiche, orientierte Randkurve besitzt,




Abbildung 5.34: Flächen mit gleicher orientierter Randkurve

Diese Variante des Theorems von Stokes beinhaltet den in Math.Kap. 5.3.1 diskutierten Zusammenhang zwischen und der Wegunabhängigkeit von Kurvenintegralen.

(a)
Ist in dem gesamten Gebiet , so folgt für jede geschlossene Kurve in dem Gebiet


(b)
Ist für eine geschlossene Kurve in , so folgt in dem gesamten Gebiet, da laut Theorem die Oberflächenintegrale für alle Flächen mit dem Rand verschwinden.

Um eine anschauliche Deutung des Begriffes herauszuarbeiten, kann man in einem ersten Schritt die folgenden zwei Beispiele gegenüberstellen: Für ein zylindersymmetrisches Vektorfeld der Form


ist das Feldlinienbild zentralsymmetrisch für jede Ebene parallel zur - Ebene (Abb. 5.35a). Berechnet man die Rotation dieses Feldes


so stellt man mit Hilfe der Kettenregel



fest, dass für jeden Punkt des Raumes verschwindet ( ). Das Theorem von Stokes besagt dann: Das Kurvenintegral verschwindet für jede beliebige geschlossene Kurve (sowohl um die -Achse, als auch ohne Einschluss der -Achse). Für den Fall eines Kreises um die -Achse kann man dies leicht nachrechnen. Mit der Parameterdarstellung


der Kurve (als Orientierung der Randkurve wurde (willkürlich) `gegen den Uhrzeigersinn` gewählt) findet man


Diese Antwort ergibt sich natürlich auch aus der Überlegung, dass in diesem Fall immer senkrecht auf steht.

Abbildung 5.35: Zwei zylindersymmetrische Vektorfelder

Die Feldlinien des Vektorfeldes


das für dem oben erwähnten Magnetfeld entspricht, sind konzentrische Kreise um die -Achse (Abb. 5.35b). Für die Rotation des Feldes berechnet man in diesem Fall


bzw. nach Einsetzen von und wie in dem ersten Beispiel


Die Rotation des Vektorfeldes verschwindet im Allgemeinen nicht, es sei denn ist eine Funktion mit besonderem singulären Verhalten für Punkte der -Achse


Das Theorem von Stokes besagt dann


Für einen Kreises um die -Achse, der gegen den Uhrzeigersinn durchlaufen wird, erhält man



Ein Kurvenintegral über dieses Vektorfeld ist außerdem wegabhängig. Ist die Kurve z.B. ein Quadrat der Seitenlänge um die - Achse (Abb. 5.36), mit gleichem Umlaufsinn, so erhält man mit der Parameterdarstellung


das Resultat


Ohne weitere Vorgabe von lässt sich das Integral nicht berechnen. Für das Magnetfeld mit folgt z.B.



Abbildung 5.36: Eine Integrationskurve für zylindersymmetrische Vektorfelder

Die Gegenüberstellung der beiden Beispiele deutet eine mögliche Interpretation der Größe an: Die Rotation beschreibt das Auftreten von geschlossenen Feldlinien, oder (in anderen Worten) das Auftreten von Wirbeln im Feld. Das Feld des ersten Beispiels hat keine Wirbel, verschwindet. Das zweite Beispiel stellt ein einfaches Wirbelfeld dar.

Das Theorem von Stokes kann zu der folgenden formalen Definition des Begriffes `Rotation` benutzt werden: Man legt um einen Punkt des felderfüllten Raumes eine infinitesimale Schleife mit der Fläche . Das Theorem liefert dann die Grenzwertaussage


Wegen des Auftretens des Skalarproduktes von und , ergibt dessen Auflösung die Komponenten von in der Normalenrichtung, die der Richtung von entspricht (Abb. 5.37). Das hier auftretende Kurvenintegral bezeichnet man auch als die Zirkulation des Vektorfeldes. Die Rotation hat demnach die Bedeutung Zirkulation pro Fläche oder spezifische Zirkulation. Im Grenzfall spricht man auch von der Wirbeldichte.

Abbildung 5.37: Zur Definition des Begriffes der Rotation

Auch das Theorem von Stokes hat unter Umständen praktischen Wert, denn es verknüpft Oberflächenintegrale von ( ) mit Kurvenintegralen von . Doch ist es wegen der komplizierteren Struktur der Oberflächenintegrale nicht so nützlich wie das Gaußtheorem. Das Theorem ermöglicht es aber, einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Methoden zur Berechnung von ebenen Flächen herzustellen.
(a)
Eine Methode, die bei der Diskussion des Flächensatzes (Buch.Kap. 2.2.1) gewonnen wurde, bestimmt eine ebene Fläche durch Abfahren des Randes der Fläche mittels einer Parameterdarstellung der Randkurve (Abb. 5.38a)


(b)
Bei der Diskussion von Integralen mit Funktionen von zwei Veränderlichen (Math.Kap. 4.3.2) wurden ebene Flächen durch Zerlegung in infinitesimale Bereiche wie z.B. Rechtecke berechnet (Abb. 5.38b)


Ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Methoden ergibt folgendes Argument: Schreibe den Integranden im Fall (a) als


Berechne für diese Feldfunktion


Mit dem Satz von Stokes folgt dann



Der Satz von Stokes verknüpft die beiden Möglichkeiten für die Berechnung von ebenen Flächen in eleganter Weise.

Abbildung 5.38: Flächenberechnung

Die Diskussion dieser Grundkonzepte der Vektoranalysis kann man folgendermaßen zusammenfassen: Für ein vorgegebenes Vektorfeld erhält man durch Betrachtung der Größen (eine skalare Größe) und (eine Vektorgröße) eine Vorstellung von der Struktur des Feldes. Die Divergenz beschreibt die Verteilung der Quellen/Senken, die Rotation beschreibt das Auftreten von Wirbeln. Umgekehrt kann man diese Größen für eine pauschale Klassifikation von Vektorfeldern benutzen.
(1)
Ein Feld , für das gilt, bezeichnet man als quellenfrei oder solenoidal. Ein Paradebeispiel ist das Magnetfeld.
(2)
Ein Feld , für das gilt, bezeichnet man als wirbelfrei. Beispiele sind die Felder der Elektrostatik oder die konservativen Kraftfelder der Mechanik.
(3)
Ein Feld , für das ist, bezeichnet man als ein Vortexfeld.

Zwei Möglichkeiten, diese Diskussion zu erweitern, sollen zum Schluss, ohne weitere Details, erwähnt werden:


< Mechanik     Mathematische Ergänzungen >       R. Dreizler   C. Lüdde     2008