5.3.3 Die Integralsätze von Gauß und Stokes
Die Darstellung von Vektorfeldern durch Feldlinienbilder bietet eine Einstimmung
in diesen Themenkreis. Die Feldlinien sind Tangentialkurven an benachbarte
Feldvektoren, die mit der Feldrichtung versehen sind. In dem einfachen Beispiel
eines Gravitationsfeld der Masse
, die im Koordinatenursprung sitzt,
sind die Feldlinien Halbgeraden, die radial (aus allen Richtungen) auf den
Koordinatenursprung gerichtet sind (Abb. 5.14).
Abbildung 5.14:
Kugelsymmetrisches Feld
 |
Das Gravitationsfeld von zwei gleichgroßen Massen, die symmetrisch zum
Koordinatenursprung auf einer Koordinatenachse angebracht sind, ist in dem Punkt
Die Geometrie und das entsprechende Feldlinienbild sind in Abb. 5.15 angedeutet.
Abbildung 5.15:
Das Dipolfeld
 |
In der Nähe der beiden Massen dominiert das
eigene Feld. In dem Zwischenbereich sind die Feldlinien stark
modifiziert. Die Feldlinien schmiegen sich an die Trennebene zwischen
den Massen an. Das gesamte Bild ist rotationssymmetrisch bezüglich
der Achse, auf der sich die Massen befinden. Dies ist ein Beispiel für
ein Dipolfeld.
Würde man Punktladungen anstelle von Punktmassen
betrachten, so hätte man in dem einfachsten Fall das elektrischen Feld einer
(positiven oder negativen) Punktladung
im Koordinatenursprung
Ein weiteres Beispiel ist das Vektorfeld
Abbildung 5.16:
Feldlinienbild eines Magnetfeldes
 |
Dieses Feld ist translationssymmetrisch bezüglich der
-Achse. Für
jede Ebene
const. erhält man das gleiche Feldlinienbild. Die
Feldlinien sind konzentrische Kreise um die
-Achse (Abb. 5.16). Dieses Feld ist
(bis auf konstante Faktoren) das Magnetfeld eines dünnen, stromdurchflossenen
Leiters entlang der
-Achse.
Die Oberflächenintegrale für die
verschiedenen Felder
bezeichnet man als den Fluss der Felder durch die
Fläche
, insbesondere als Gravitationsfluss, elektrischen Fluss,
magnetischen Fluss etc. Diese Terminologie hat ihren Ursprung in der
Hydrodynamik. Dort betrachtet man z.B. das Geschwindigkeitsfeld einer
stationären Flüssigkeitsströmung (Abb. 5.17). Jedem infinitesimalen Volumenelement
wird ein Geschwindigkeitsfeld
zugeordnet. Ist die Geschwindigkeit
uniform und stellt man senkrecht zu der Strömung eine ebene Fläche
, so ist
ein Maß für die Flüssigkeitsmenge, die pro Zeiteinheit durch
die Fläche strömt. Ist die ebene Fläche gegen die Strömung geneigt, so
ist das Maß das Skalarprodukt
.
Abbildung 5.17:
Hydrodynamischer Fluss
 |
Ist die Strömung nicht uniform und/oder die Fläche nicht eben (Abb. 5.18), so ist
der Geschwindigkeitsfluss
Die Übertragung dieses Flusskonzeptes auf den Fall eines beliebigen
Vektorfeldes erfordert, dass man als Maß für die `Stärke der
Strömung` die Anzahl der Feldlinien (normiert z.B. auf
eine vorgegebene Masse, Ladung, Stromstärke), die durch die Fläche
hindurchtreten, benutzt.
Abbildung 5.18:
Zur Definition des Flusses
 |
Für das Gravitationsfeld einer Punktmasse in dem Koordinatenursprung ist
der Fluss durch eine Kugelfläche mit Radius
um den Koordinatenursprung
Das Resultat ist unabhängig von dem Kugelradius, also für jede Kugel
um den Koordinatenursprung gültig. Dies entspricht der vorgeschlagenen
Interpretation. Die gleiche, normierte Anzahl von Feldlinien greift durch
jede dieser Kugelflächen (Abb. 5.19a).
Man würde das gleiche Ergebnis erwarten, wenn man
eine beliebig geformte, geschlossene Fläche
um den Koordinatenursprung legt.
Im Rahmen der vorgeschlagenen Interpretation des Flusskonzeptes wäre dieses
Ergebnis verständlich. Durch die beliebige Fläche tritt die gleiche Anzahl von
Feldlinien wie durch jede der Kugelflächen (Abb. 5.19b).
Abbildung 5.19:
Der Fluss einer Punktmasse im Ursprung
 |
Für eine beliebige geschlossene Fläche
, die den Koordinatenursprung nicht
enthält, sollte dann gelten
Hier treten genauso viele Feldlinien in die Fläche hinein wie hinaus. Der
Nettofluss ist demnach Null (Abb. 5.20). Den Beweis dieser Aussagen liefert das
unten diskutierte Gaußtheorem.
Abbildung 5.20:
Fluss durch eine Fläche, die den Massenpunkt nicht
enthält
 |
Eine übliche Interpretation dieser Situation ist: Der Massenpunkt ist
eine Quelle des Feldes. Etwas allgemeiner und präziser
unterscheidet man
Abbildung 5.21:
Illustration von Quellen und Senken
 |
Quellen und Senken (Abb. 5.21a,b). Aus einer Quelle treten Feldlinien aus, in eine
Senke laufen sie hinein. Berechnet man den Fluss durch eine geschlossene
Fläche um eine Quelle/Senke, so ist dieser ungleich
Null. Berechnet man den Fluss für eine geschlossene Fläche, in der sich
keine Quelle/Senke befindet, so verschwindet der Fluss.
Die quantitative Fassung dieser Situation liefert der
Satz von Gauß, der auch als Divergenztheorem bezeichnet wird.
Abbildung 5.22:
Zum Satz von Gauß
 |
Dieses Theorem lautet
In Worten besagt das Theorem: Ist der Integrand eines Volumenintegrals die
Divergenz eines Vektorfeldes, so ist dieses Volumenintegral gleich dem
Oberflächenintegral der Vektorfunktion über die Begrenzung von
(Abb. 5.22). Die
(geschlossene) Fläche ist, entsprechend der Standardverabredung, so orientiert, dass
nach außen zeigt. Die Einschränkung der Form des Bereiches
bedeutet, dass der Bereich konvex ein soll (Abb. 5.23).
Abbildung 5.23:
Klassifikation von Volumina
 |
Um das Theorem zu beweisen, schreibt man die linke Seite der Gleichung
explizit aus
In dem ersten Term
kann der Integrationsbereich explizit angegeben werden, wenn man
die Begrenzung in eine Boden- und eine Deckelfläche bezüglich der
Richtung unterteilt (Abb. 5.24)
Hier benutzt man die Beschränkung auf ein konvexes Volumen. Das Dreifachintegral
ist dann
Das verbleibende Zweifachintegral über
und
ist über die
Projektion des Volumens
in die
-
Ebene (
) zu berechnen. Dieser Bereich
muss nicht näher spezifiziert werden. Die Integration über die
Koordinate
ist trivial. Die Stammfunktion ist
und man findet
Dies ist jedoch genau der erste Term des Oberflächenintegrals (bei
kartesischer Zerlegung und Doppelbelegung der Fläche
) auf der rechten
Seite der Gleichung. Eine entsprechende Betrachtung für die Terme
und
liefert dann den vollständigen Beweis.
Abbildung 5.24:
Zum Beweis des Gaußtheorems
 |
Von der Beschränkung auf konvexe Bereiche kann man sich relativ
leicht befreien. Man kann z.B. ein Volumen mit einer Einschnürung
mittels einer Trennfläche in zwei konvexe Teilbereiche
zerlegen (Abb. 5.25a). Für die Teilbereiche gilt
Addition beider Aussagen ergibt auf der linken Seite das Volumenintegral
über den Gesamtbereich. Auf der rechten Seite hebt sich bei Addition der
Beitrag der Trennflächen heraus, da die beiden Teilflächen von
und
in jedem Punkt entgegengesetzt orientiert sind (Abb. 5.25b).
Abbildung 5.25:
Nichtkonvexe Volumina
 |
Es bleibt das Oberflächenintegral über die Begrenzung des
Gesamtvolumens.
Ein praktischer Aspekt des Gaußtheorems ist die Umschreibung von
Oberflächenintegralen in Volumenintegrale und umgekehrt.
Je nach Situation kann es einfacher sein, das eine oder das andere Integral
zu berechnen. Ist z.B. die Aufgabe gestellt: Berechne das
Oberflächenintegral mit dem Vektorfeld
für
ein Ellipsoid um den Koordinatenursprung mit den Halbachsen
,
,
, so ist
die Berechnung von
möglich, doch recht aufwendig. Wegen
folgt mit dem
Satz von Gauss
Das Theorem liefert auch eine gewisse Veranschaulichung des Begriffes
`Divergenz`.
Für ein Zentralfeld
und für eine Kugelfläche um den Koordinatenursprung ergab das
Oberflächenintegral
Anhand der Divergenz dieses Feldes
kann man feststellen:
Für alle Raumpunkte außer dem Koordinatenursprung gilt
und es folgt
Die Divergenz eines Zentralfeldes (mit punktförmiger Quelle)
verschwindet im gesamten Raum, außer an dem Koordinatenursprung. Für diesen kann
man zunächst keine Aussage machen.
Mit dem Satz von Gauß kann man für eine geschlossene Fläche, die den
Ursprung nicht enthält, folgern
Ein beliebiges Volumen um
den Koordinatenursprung kann man in ein Kugelvolumen um den
Koordinatenursprung und eine Anzahl von Teilvolumina, die den Ursprung nicht
enthalten, zerlegen (Abb. 5.26). Da die Beiträge der Trennflächen sich infolge der
Orientierung herausheben, folgt
Die Teilflächen ohne Koordinatenursprung tragen nicht bei, so dass gilt
Abbildung 5.26:
Zerlegung einer beliebigen Fläche um
einen Massenpunkt
 |
Zu der Situation im Koordinatenursprung kann man aus der Sicht des Gaußtheorems
bemerken: Das Volumenintegral hat einen endlichen Wert, obschon
für alle Punkte außer dem Koordinatenursprung verschwindet.
Somit kann
für
nicht verschwinden
Da jedoch der Beitrag zu dem Integral sozusagen von einem einzigen Punkt
kommt, muss hier eine außergewöhnliche Situation vorliegen. In der Tat
trifft man hier auf eine neue Klasse von mathematischen Objekten
und man schreibt
Die `Funktion`
auf der rechten Seite
bezeichnet man als die (Diracsche) Deltafunktion. Sie ist jedoch keine
Funktion sondern eine Distribution
.
Eine naive Vorstellung von dieser Distribution, die jedoch mathematischen Ansprüchen
in keiner Weise genügt, könnte lauten:
hat an jeder Stelle außer
für
den Wert Null.
Abbildung 5.27:
Naive Illustration der
-Funktion
 |
In diesem Punkt ist sie singulär (
) und zwar so, dass das Integral
den Wert
hat (Abb. 5.27). Offensichtlich kann man solche Objekte mathematisch sauber nur durch
eine Erweiterung des Funktionsbegriffes fassen.
Unabhängig von diesen Bemerkungen gilt es festzuhalten: Für eine Punktquelle
(ein Zentralfeld) gilt
Der Punkt, in dem die Feldquelle (oder Senke), ein Massenpunkt
oder eine Punktladung, sitzt, ist durch
, der
restliche Raum durch
charakterisiert. Die Divergenz
des Vektorfeldes beschreibt somit die Verteilung der Quellen des Feldes
in differentieller Form. Über das Gaußtheorem gewinnt man eine
entsprechende Aussage in Integralform, in der Form von
Oberflächenintegralen über geschlossene Flächen. Alle
Oberflächenintegrale, die den Quellpunkt einschließen, ergeben
, also Raumwinkel mal `Quellstärke`.
Man kann diesen Tatbestand etwas allgemeiner fassen. Man legt um einen
Punkt des felderfüllten Raumes ein infinitesimales Volumen
.
Aus dem Divergenztheorem folgt dann
oder im Sinne eines Grenzwertes
Die Divergenz des Vektorfeldes hat die Dimension Feldfluss pro Volumen.
Da es sich um einen Nettofluss handelt, kann man diese Flussdichte auch
als Quelldichte bezeichnen. Positive Quelldichte in einem Punkt
entspricht einer echten Quelle, negative Quelldichte entspricht einer
Senke.
Entsprechende Aussagen gelten nicht
nur für `Punktquellen` sondern auch für ausgedehnte Quellen.
Zum Beweis berechnet man zunächst in direkter Weise das
Gravitationsfeld einer Kugel mit homogener
(aus makroskopischer Sicht) Massenverteilung
Die Masse ist (siehe Math.Kap. 4.3)
Zur Berechnung des Gravitationsfeldes unterteilt man das Volumen in
infinitesimale Volumenelemente
an der Stelle
(Abb. 5.28a). Der
Beitrag dieses Volumenelementes zu dem Gravitationsfeld an der Stelle
ist
Die Beiträge aller Massenelemente sind dann im Sinne einer
Grenzwertbetrachtung zu addieren.
Es sind drei (!) Volumenintegrale zu berechnen. Bevor man sich an deren
explizite Berechnung macht, ist die folgende Überlegung nützlich: Zu
jedem Volumenelement an der Stelle
gibt es ein diametral gelegenes,
das in dem Punkt
einen gleich großen Beitrag liefert.
Abbildung 5.28:
Berechnung eines Gravitationsfeldes einer Kugel mit
homogenen Massenverteilung
 |
Die Vektorsumme der Feldbeiträge der beiden Volumenelemente ist ein
Vektor in Radialrichtung (Abb. 5.28b). Das Gravitationsfeld der homogenen
Massenverteilung mit einer Kugelgestalt ist ein Radialfeld.
Explizite Integration ergibt
Die folgende, explizite Auswertung kann
übersprungen werden.
Es erscheint nützlich die Rechenschritte, die zu diesem Ergebnis führen,
in einigem Detail anzugeben, da sie als Muster für ähnliche Auswertungen
dienen können. Zur Berechnung von
kann man infolge der Symmetrie den Feldpunkt auf die
-Achse legen, so dass
für den Feldpunkt
und die Integrationsvariable
die
Aussagen gelten
und
Wegen
folgt
mit
wobei
substitutiert wurde.
Zur Berechnung des inneren Integrals sind die Schritte notwendig
Mit den Fallunterscheidungen
erhält man für
und
für
und
Infolge der Symmetrie kann
wieder durch
und
durch
ersetzt werden.
Die Feldstärke wächst zunächst linear mit r und fällt dann wie
ab (Abb. 5.29).
Abbildung 5.29:
Radiale Variation des Gravitationsfeldes einer Kugel mit
homogenen Massenverteilung
 |
Das Feld einer homogenen Kugel unterscheidet sich im Außenbereich nicht von
dem Feld einer gleich großen Punktmasse, die im Zentrum angebracht ist.
Für die Divergenz dieses Gravitationsfeldes erhält man
bzw. wenn man für den Fall
die Masse einsetzt
Dies hat wieder die Form Raumwinkel mal Quelldichte und man kann feststellen:
Für alle Raumpunkte, an denen Feldquellen (Masse) sitzen, ist
. Für
alle Raumpunkte an denen sich keine Feldquellen befinden, ist
. Die Divergenz des Feldes beschreibt die Verteilung
der Feldquellen und deren Stärke (
). Die
Tatsache, dass eine Quellenverteilung mit scharfem Rand vorliegt,
äußert sich in einem Sprung von
(Abb. 5.30).
Abbildung 5.30:
Illustration der Divergenz des Gravitationsfeldes einer Kugel mit
homogener Massenverteilung
 |
Das zweite zentrale Integraltheorem der Vektoranalysis ist das Theorem von Stokes.
Es führt unter anderem zu einer gewissen, anschaulichen Interpretation des Begriffes der
Rotation eines Vektorfeldes. Das Theorem lautet
Das Oberflächenintegral über die Rotation eines Vektorfeldes
ist gleich dem Kurvenintegral über den orientierten Rand von
(Abb. 5.31a). Die
Orientierung des Randes und die Orientierung der Flächenelemente
, sind gemäß dem Zerlegungssatz über die Rechte-Hand-Regel
(oder Schraubenregel) verknüpft (Abb. 5.31b).
Abbildung 5.31:
Zum Satz von Stokes
 |
Der Beweis dieses Theorems folgt dem Muster des Beweises des
Divergenztheorems. Da jedoch hier in beiden Integralen Skalarprodukte von
Vektoren auftreten, sind die Details etwas langwieriger.
Man zerlegt zunächst die Fläche
(orientiert durch die Randkurve) in
Teilbereiche (Abb. 5.32). Für jeden Teilbereich gilt
Es gilt
da sich die Beiträge über die Trennkurven herausheben, und entsprechend
bei beliebig feiner Unterteilung
Abbildung 5.32:
Beweis des Stokeschen Satzes: Zerlegung und Projektion
 |
In einem zweiten Schritt betrachtet man eine (genügend feine) Zerlegung
der gekrümmten Teilbereiche in infinitesimale Bereiche parallel zu den
Koordinatenebenen (Abb. 5.33a).
Abbildung 5.33:
Beweis des Stokeschen Satzes
 |
Man erhält auf diese Weise z.B. für die Beiträge parallel zur
-
Ebene (Abb. 5.33b)
Dies wird gemäß
sortiert und in der Form
zusammengefasst. Der Bereich
ist die Projektion von
auf
die
-
Ebene. Summation
aller solcher parallelen Beiträge in dieser Koordinatenebene ergibt
wobei der Bereich
die Projektion von
auf die
-
Ebene ist.
Entsprechendes zeigt man für die
Bereiche parallel zur
-
und
-
Ebene
Insgesamt gilt somit
Eine Erweiterung des Theorems ist für
Anwendungen in der Physik nützlich. Man betrachtet nicht nur die
Situation, dass die Vektorfunktion
auf
der Fläche
definiert und stetig differenzierbar ist, sondern die
Variante (Abb. 5.34): Ist eine Vektorfunktion in einem Raumgebiet
definiert und
stetig differenzierbar, so gilt für jede Fläche
, die ganz in
liegt und die die gleiche, orientierte Randkurve
besitzt,
Abbildung 5.34:
Flächen mit gleicher orientierter Randkurve
 |
Diese Variante des Theorems von Stokes beinhaltet den in Math.Kap. 5.3.1
diskutierten Zusammenhang zwischen
und der
Wegunabhängigkeit von Kurvenintegralen.
- (a)
- Ist in dem gesamten Gebiet
, so folgt
für jede geschlossene Kurve in dem Gebiet
- (b)
- Ist
für eine
geschlossene Kurve in
, so folgt
in dem
gesamten Gebiet, da laut Theorem die Oberflächenintegrale für alle
Flächen mit dem Rand
verschwinden.
Um eine anschauliche Deutung des Begriffes
herauszuarbeiten, kann man in einem ersten Schritt die folgenden
zwei Beispiele gegenüberstellen:
Für ein zylindersymmetrisches Vektorfeld der Form
ist das Feldlinienbild zentralsymmetrisch für jede Ebene parallel zur
-
Ebene (Abb. 5.35a).
Berechnet man die Rotation dieses Feldes
so stellt man mit Hilfe der Kettenregel
fest, dass
für jeden Punkt des Raumes verschwindet (
). Das
Theorem von Stokes besagt dann: Das Kurvenintegral verschwindet für jede
beliebige geschlossene Kurve (sowohl um die
-Achse, als auch ohne
Einschluss der
-Achse). Für den Fall eines Kreises um die
-Achse
kann man dies leicht nachrechnen. Mit der Parameterdarstellung
der Kurve (als Orientierung der Randkurve wurde (willkürlich) `gegen
den Uhrzeigersinn` gewählt) findet man
Diese Antwort ergibt sich natürlich auch aus der Überlegung, dass in
diesem Fall
immer senkrecht auf
steht.
Abbildung 5.35:
Zwei zylindersymmetrische Vektorfelder
 |
Die Feldlinien des Vektorfeldes
das für
dem oben erwähnten Magnetfeld
entspricht, sind konzentrische
Kreise um die
-Achse (Abb. 5.35b). Für die Rotation des Feldes berechnet man in
diesem Fall
bzw. nach Einsetzen von
und
wie in dem ersten Beispiel
Die Rotation des Vektorfeldes verschwindet im Allgemeinen nicht, es sei
denn
ist eine Funktion mit besonderem singulären Verhalten für
Punkte der
-Achse
Das Theorem von Stokes besagt dann
Für einen Kreises um die
-Achse, der gegen den Uhrzeigersinn
durchlaufen wird, erhält man
Ein Kurvenintegral über dieses Vektorfeld ist außerdem wegabhängig.
Ist die Kurve z.B. ein Quadrat der Seitenlänge
um die
-
Achse (Abb. 5.36), mit gleichem Umlaufsinn, so erhält man mit der Parameterdarstellung
das Resultat
Ohne weitere Vorgabe von
lässt sich das Integral nicht
berechnen.
Für das Magnetfeld mit
folgt z.B.
Abbildung 5.36:
Eine Integrationskurve für zylindersymmetrische
Vektorfelder
 |
Die Gegenüberstellung der beiden Beispiele deutet eine mögliche
Interpretation der Größe
an: Die Rotation beschreibt
das Auftreten von geschlossenen Feldlinien, oder (in anderen Worten) das
Auftreten von Wirbeln im Feld. Das Feld des ersten Beispiels hat keine Wirbel,
verschwindet. Das zweite Beispiel stellt ein einfaches Wirbelfeld
dar.
Das Theorem von Stokes kann zu der folgenden formalen Definition des Begriffes
`Rotation` benutzt werden: Man legt um einen Punkt des felderfüllten
Raumes eine infinitesimale Schleife mit der Fläche
. Das Theorem
liefert dann die Grenzwertaussage
Wegen des Auftretens des Skalarproduktes von
und
, ergibt dessen Auflösung die Komponenten von
in der
Normalenrichtung, die der Richtung von
entspricht (Abb. 5.37).
Das hier auftretende Kurvenintegral bezeichnet man auch als die Zirkulation des
Vektorfeldes. Die Rotation hat demnach die Bedeutung Zirkulation pro
Fläche oder spezifische Zirkulation. Im Grenzfall spricht man auch von
der Wirbeldichte.
Abbildung 5.37:
Zur Definition des Begriffes der Rotation
 |
Auch das Theorem von Stokes hat unter Umständen praktischen Wert, denn
es verknüpft Oberflächenintegrale von (
) mit Kurvenintegralen
von
. Doch ist es wegen der komplizierteren Struktur der
Oberflächenintegrale nicht so nützlich wie das Gaußtheorem.
Das Theorem ermöglicht es aber, einen Zusammenhang zwischen verschiedenen
Methoden zur Berechnung von ebenen Flächen herzustellen.
- (a)
- Eine Methode, die bei der Diskussion des Flächensatzes (Buch.Kap. 2.2.1)
gewonnen wurde, bestimmt eine ebene Fläche
durch Abfahren des Randes der Fläche mittels einer
Parameterdarstellung der Randkurve (Abb. 5.38a)
- (b)
- Bei der Diskussion von Integralen mit Funktionen von
zwei Veränderlichen (Math.Kap. 4.3.2) wurden ebene Flächen durch
Zerlegung in infinitesimale Bereiche wie z.B. Rechtecke berechnet (Abb. 5.38b)
Ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Methoden ergibt folgendes Argument:
Schreibe den Integranden im Fall (a) als
Berechne
für diese Feldfunktion
Mit dem Satz von Stokes folgt dann
Der Satz von Stokes verknüpft die beiden Möglichkeiten für die
Berechnung von ebenen Flächen in eleganter Weise.
Abbildung 5.38:
Flächenberechnung
 |
Die Diskussion dieser Grundkonzepte der Vektoranalysis kann man folgendermaßen
zusammenfassen: Für ein vorgegebenes Vektorfeld
erhält
man durch Betrachtung der Größen
(eine skalare Größe)
und
(eine Vektorgröße) eine Vorstellung von der Struktur des
Feldes. Die Divergenz beschreibt die Verteilung der Quellen/Senken, die Rotation
beschreibt das Auftreten von Wirbeln. Umgekehrt kann man diese
Größen für eine pauschale Klassifikation von Vektorfeldern benutzen.
- (1)
- Ein Feld
, für das
gilt, bezeichnet
man als quellenfrei oder solenoidal. Ein Paradebeispiel ist das
Magnetfeld.
- (2)
- Ein Feld
, für das
gilt, bezeichnet
man als wirbelfrei. Beispiele sind die Felder der Elektrostatik oder die
konservativen Kraftfelder der Mechanik.
- (3)
- Ein Feld
, für das
ist,
bezeichnet man als ein Vortexfeld.
Zwei Möglichkeiten, diese Diskussion zu erweitern, sollen zum Schluss, ohne weitere
Details, erwähnt werden:
- Es gibt einige Varianten der beiden Integralsätze, die unter dem
Namen Integralsätze von Green
bekannt sind.
- Die Betrachtungen haben sich ausschließlich auf die Situation
(d.h. ein Vektorfeld mit
) beschränkt.
Die Ausführungen lassen sich jedoch auf
den Fall beliebiger Dimensionen (mit
) erweitern
Der Gradientenoperator ist dann
Der Begriff der Divergenz und das Divergenztheorem lassen sich in
einfacher Weise übertragen. Die Verallgemeinerung des Begriffes Rotation
und des Zirkulationstheorems sind auf der anderen Seite deutlich aufwendiger, wenn auch
machbar. Solche Erweiterungen sind z.B. bei der Diskussion der (speziellen)
Relativitätstheorie von Interesse. In diesem Fall ist die Dimension des Raumes
, der Raum ist jedoch nichteuklidisch.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008