6.3.2 Lineare Differentialgleichungen
Die Bedeutung dieser Klasse von Differentialgleichungen kommt
in der theoretischen Mechanik nicht unbedingt zum Ausdruck. Diese
Differentialgleichungen stellen jedoch ein Hauptwerkzeug
in der Elektrodynamik und der Quantenmechanik dar.
Die Grundgleichungen in diesen Gebieten sind zwar partielle
Differentialgleichungen, doch werden diese im Regelfall durch Separation in einen
Satz von gewöhnlichen Differentialgleichungen (zweiter Ordnung)
übergeführt. Die entsprechenden Grundgrößen, die elektromagnetischen
Felder der Maxwelltheorie und die Wellenfunktionen der Schrödingertheorie
(und deren Erweiterungen), gehorchen dem Superpositionsprinzip. Dies bedingt,
dass die partiellen und die
letztlich zu diskutierenden gewöhnlichen Differentialgleichungen linear sein müssen.
Die allgemeinen Aussagen, die man bezüglich der Lösungen der Differentialgleichung
bereitstellen kann, wurden in Math.Kap. 2.2.2 diskutiert. Zusammengefasst
lauten sie:
-
Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist die Summe der
allgemeinen Lösung der homogenen Differentialgleichung und einer Partikulärlösung der
inhomogenen Differentialgleichung
- Verschwindet für zwei Partikulärlösungen der homogenen Differentialgleichung
die Wronskideterminante nicht
so sind sie linear unabhängig und
bilden ein Fundamentalsystem.
- Die Linearkombination
der
Fundamentallösungen ist die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung.
Die Lösung der homogenen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten wurde in
Math.Kap. 2.2.2 vorgestellt. Die Lösung der nächstkomplizierten Klasse von linearen
Differentialgleichungen, bei denen die Koeffizientenfunktionen (mehr oder weniger
einfache) Polynome in
sind, wird in dem folgenden Abschnitt
aufgegriffen. Zu diskutieren ist an dieser Stelle auch die Frage nach einem
Verfahren zur Bestimmung der Partikulärlösung der inhomogenen
Differentialgleichung. Dieses Verfahren ist eine Erweiterung des Verfahrens der Variation
der Konstanten, das für den Fall von Differentialgleichungen erster Ordnung
vorgestellt wurde (siehe Math.Kap. 6.2.3). Im Fall einer inhomogenen
Differentialgleichung zweiter Ordnung lautet der Ansatz
wobei die Funktionen
und
ein Fundamentalsystem bilden.
Es sind zwei `Konstanten` zu variieren. Da nur eine
Partikulärlösung gesucht wird, gibt es einen gewissen Spielraum, der
geschickt ausgenutzt werden kann. Man berechnet zunächst die
Ableitung des Ansatzes
und fordert (dies ist der Spielraum), dass die Funktionen
die
Gleichung
erfüllen. Der Ansatz für
, die erste Ableitung
und die zweite Ableitung
werden dann in die inhomogene Differentialgleichung eingesetzt. Das Ergebnis (sortiert)
ist
Die ersten beiden Klammerausdrücke verschwinden, denn
und
sind Lösungen der homogenen Differentialgleichung. Die zwei Gleichungen
stellen ein lineares Gleichungssystem für die Funktionen
und
dar. Lösung dieses Gleichungssystems, z.B. mit Cramers Regel,
liefert
Das Gleichungssystem besitzt eine nichttriviale Lösung, da
die Wronskideterminante
der Fundamentallösungen (und
)
per Voraussetzung ungleich Null sind. Die gesuchten Funktionen
selbst erhält man durch Integration
Das folgende Beispiel erläutert das Verfahren noch einmal im Detail.
Die allgemeine Lösung des homogenen Anteils der Differentialgleichung
ist
mit der Wronskideterminante
. Das Gleichungssystem für die variierten Konstanten lautet
Daraus ergibt sich
Die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist somit
Das Verfahren der Variation der Konstanten ist allgemein einsetzbar,
dafür aber etwas umständlich. Beim Auffinden von
Partikulärlösungen von inhomogenen, linearen Differentialgleichungen
per Inspektion kann das Superpositionsprinzip von Nutzen sein, wie das
folgende Beispiel illustriert. Um eine Partikulärlösung der Differentialgleichung
zu finden, betrachtet man die einzelnen Differentialgleichungen
deren Partikulärlösungen man leicht gewinnen kann:
bzw.
. Offensichtlich ist
die Summe
eine Partikulärlösung
der gesamten Differentialgleichung.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008