3.1 Anschauliche Vektorrechnung

Die erste Definition lautet



Beispiele für skalare Größen in der Physik sind Masse, Energie, Temperatur etc. Ein Beispiel aus der analytischen Geometrie wäre eine Strecke.

Die zweite Definition lautet



Ein Beispiel ist der Verschiebungsvektor. Mit der Aussage: Geht man von einem Punkt aus km, liegt der Endpunkt keineswegs fest. Der Endpunkt liegt irgendwo auf einem Kreis um den Ausgangspunkt . Man benötigt neben dem Zahlenwert eine zusätzliche Information, wie z.B. in nordöstlicher Richtung, um den Endpunkt eindeutig festzulegen.


Abbildung 3.1: Verschiebungsvektor

Gerichtete Strecken (und allgemeiner Vektoren) werden durch einen Pfeil dargestellt, der Anfangspunkt und Endpunkt verbindet (siehe Abb. 3.1). Die übliche Schreibweise für einen Verschiebungsvektor (oder Positionsvektor) ist[*]


bzw. mehr kalligraphische Varianten. Eine zweite Verabredung zur Notation ist an dieser Stelle festzuhalten. Die Länge der gerichteten Strecke (allgemein der Betrag eines Vektors) wird in der Form


geschrieben. Beispiele für vektorielle Größen in der Physik sind Kräfte (es spielt eine Rolle, in welcher Richtung man zieht oder schiebt), Geschwindigkeit, Drehimpuls, elektrische oder magnetische Felder, etc.

Trotz der einfachen Definition kann man einige Feinheiten notieren. Man unterscheidet:

In der weiteren Diskussion werden (sofern nicht anders bemerkt) freie Vektoren benutzt.

Für Vektoren kann man (zunächst in qualitativer Form) Rechenoperationen definieren, deren Anwendungsbereich nicht auf die theoretische Physik beschränkt ist.

Die Addition von Vektoren entspricht dem Hintereinanderausführen von Verschiebungen. Man verschiebt ein Objekt zunächst um den Vektor und dann um den Vektor . Den Vektor, der den Anfangs- und den Endpunkt dieser Vektorkette verknüpft, definiert man als den Summenvektor und schreibt


Der Summenvektor markiert die kürzeste Verbindung zwischen diesen beiden Punkten (Abb. 3.2a). Man kann den Summenvektor auch konstruieren, indem man die Anfangspunkte der beiden Vektoren zusammenlegt und die Figur zu einem Parallelogramm ergänzt (Abb. 3.2a). Die (lange) Diagonale des Parallelogramms ist der Summenvektor. Bei dieser Konstruktion hat man die Aussage benutzt, dass die Vektoraddition kommutativ ist


Die Addition von mehr als zwei Vektoren (Abb. 3.2b) ergibt sich sinngemäß durch die Angabe


Benutzt wurde die Aussage: Die Vektoraddition ist assoziativ.


Abbildung 3.2: Zur Vektoraddition

Die Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar entspricht der Vorschrift: Verschiebe ein Objekt nicht um einen Vektor , sondern um mal diesen Vektor. Den resultierenden Vektor mit der Länge und, falls die Zahl positiv ist, der gleichen Richtung wie schreibt man als


Ist so bezeichnet man als den Nullvektor . Dies ist, anschaulich gesprochen, ein Vektor, dessen Anfangs- und Endpunkt zusammenfallen. Man kann die Frage stellen: Weder Länge noch Richtung, also ein Vektor? Dieser Vektor ist aber, wie die Zahl bei den Rechenoperationen mit Skalaren, eine unabdingbare Größe mit der Eigenschaft . Ist , so hat die Länge , zeigt aber in die entgegengesetzte Richtung zu . Rechenregeln für die Multiplikation mit einem Skalar sind die Distributivgesetze


sowie das Assoziativgesetz


Die Subtraktion von Vektoren kann man mit Hilfe der Addition und der Multiplikation mit darstellen. Die Differenz zweier Vektoren ist


Man dreht den Vektor um und addiert in gewohnter Weise. Den Differenzvektor erhält man auch als die kurze Diagonale in dem Vektorparallelogramm, wobei (eine nützliche Merkregel) der Endpunkt des Differenzvektors mit dem Endpunkt von zusammenfällt (Abb. 3.3).

Abbildung 3.3: Subtraktion von Vektoren



Animation von Abbildung 3.3: Subtraktion von Vektoren

Es gibt zwei verschiedene Produkte eines Vektors mit einem anderen Vektor. Das Skalarprodukt, auch inneres Produkt genannt, zweier Vektoren entspricht, sozusagen, der Projektion eines Vektors auf den anderen. Die Definition (und Notation) des Skalarproduktes ist


wobei der von den beiden Vektoren eingeschlossene Winkel ist. Die Definition beinhaltet die folgenden Operationen: Projiziere den Vektor auf die Richtung von . Dies ergibt den Faktor . Mulipliziere mit dem Betrag von . Alternativ kann man zuerst auf die Richtung von projizieren und dann mit multiplizieren (Abb. 3.4a). Mit dieser Definition wird also



zugeordnet.

Rechenregeln für das Skalarprodukt sind

Der Definition entnimmt man weiterhin die folgenden Eigenschaften des Skalarproduktes


Abbildung 3.4: Das Skalarprodukt

Die Tatsache, dass das Skalarprodukt ein nützliches Instrument darstellt, soll an einem trigonometrischen Beispiel, dem Kosinussatz, erläutert werden. Der Beweis der Relation , die für beliebige Dreiecke gilt, ist mit elementargeometrischen Mitteln durchaus umständlich. Mit Hilfe der Vektorrechnung argumentiert man wie folgt: Das Dreieck kann durch ein geschlossenes Vektorpolygon beschrieben werden (Abb. 3.5)


Daraus folgt z.B. durch Auflösung nach und Bildung des Skalarproduktes



Entsprechend kann man alle Varianten des Kosinussatzes (und mit ähnlichen Mitteln weitere Sätze der Trigonometrie) gewinnen.

Abbildung 3.5: Zum Kosinussatz

Das Vektorprodukt, auch äußeres Produkt genannt, ordnet zwei Vektoren einen dritten Vektor zu. Die folgende Aussage ist der Hintergrund für die Definition des Vektorproduktes. Zwei Vektoren im dreidimensionalen Raum spannen ein Parallelogramm auf (Abb. 3.6a). Der Flächeninhalt dieses Parallelogramms ist


Die Definition des Vektorproduktes mit der Notation


umfasst drei Punkte (Abb. 3.6b):


Abbildung 3.6: Zur Definition des Vektorproduktes

Auch für das Vektorprodukt sind einige Rechenregeln zu notieren:


Abbildung 3.7: Vektorprodukt: Antikommutativität

Die qualitative Form der Vektorrechnung ist für die Gewinnung von quantitativen Resultaten nicht geeignet. So führt der Versuch, einen Summenvektor mit Hilfe eines Lineals und eines Winkelmessers zu bestimmen, zu nicht vertretbaren Fehlern. Aus diesem Grund ist die Erarbeitung einer quantitativen Fassung des Vektorkalküls unerlässlich.


< Mechanik     Mathematische Ergänzungen >       R. Dreizler   C. Lüdde     2008