6.4 Ergänzung: Numerische Lösungsmethoden

Ist die Lösung einer Differentialgleichung analytisch nicht zugänglich, so muss man auf numerische Näherungsverfahren zurückgreifen. Eine kleine Auswahl solcher numerischer Verfahren für die Lösung von Anfangswertaufgaben von Differentialgleichungen erster Ordnung soll in diesem Abschnitt vorgestellt werden. Die Betrachtung von Differentialgleichungen erster Ordnung ist insofern ausreichend als Die Aufgabenstellung lautet demnach:



Bei der numerischen Behandlung dieser Aufgabe unterscheidet man Einschritt- und Mehrschrittverfahren. Bei Einschrittverfahren wird der gesuchte, genäherte Funktionswert an der Stützstelle durch den Funktionswert an der vorherigen Stelle bestimmt. Bei Mehrschrittverfahren wird der gesuchte Funktionswert durch die Näherung der Funktion in mehreren vorangehenden Punkten berechnet. Dies erreicht man, indem man die Funktion durch ein Interpolationspolynom darstellt, in das

Zur Aufbereitung der Einschrittverfahren, die einfacher zu handhaben sind, zerlegt man das Intervall in gleichgroße Teilintervalle. Die verfügbaren Stützstellen sind , wobei die Schrittweite darstellt. Ein direkter Zugang zu Einschrittverfahren beruht auf der Methode der Taylorentwicklung. Hier beginnt man (stetige Differenzierbarkeit bis zu der gewünschten Ordnung vorausgesetzt) mit


und gewinnt bei Benutzung der Differentialgleichung die Näherungsformel


die eine Auswertung erlaubt, falls die auftretenden totalen Ableitungen berechnet werden können. Eine Näherungslösung der Anfangswertaufgabe kann man dann durch sukzessive Auswertung der Gleichung


beginnend bei mit , berechnen.

Die meisten Einschrittverfahren basieren jedoch auf der Auswertung des Integrals über die Differentialgleichung von einer Stützstelle bis zu der nächsten


oder
(3)

Die verschiedenen Verfahren unterscheiden sich durch Näherung des hier auftretenden Integrals


Bei den einfacheren Näherungen orientiert man sich direkt an Näherungsformeln der Integralrechnung für Funktionen einer Veränderlichen


Die einfachste Näherung, die man in diesem Fall einsetzen kann, ist die Rechteckformel (siehe Abb. 6.4a)



Abbildung 6.4: Integralberechnung: Einfache Näherungsformeln 1

mit dem unteren Stützpunkt in dem Intervall . Varianten mit einer linearen Näherung des Integranden sind die Tangententrapezformel (Abb. 6.4b)


in der die Intervallmitte als Stützpunkt dient, und die Sehnentrapezformel (Abb. 6.5a)



Abbildung 6.5: Integralberechnung: Einfache Näherungsformeln 2

Die bekannteste quadratische Näherungsformel, die Simpsonformel (Abb. 6.5b)
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gewinnt man, indem man zunächst die Funktion in dem Intervall mit den Stützstellen , und mit einer quadratischen Funktion interpoliert. Der Ansatz


und die Bestimmung der drei Koeffizienten durch


führt auf die Interpolationsformel



Integration über das Intervall liefert dann die klassische Formel (6.2).

Die Übertragung dieser Näherungen auf den Fall der linearen Differentialgleichung mit einem Integral über Funktionen liefert die einfachsten Verfahren zur iterativen, numerischen Integration der Differentialgleichung. Es ist nützlich, das Intervall zur Abkürzung mit (anstelle von ) zu bezeichnen. Die einfachsten Näherungen für das Integral in (6.1) sind dann

Die Sehnentrapezformel (ST) und die Tangententrapezformel (TT) sind der Ausgangspunkt für die Entwicklung des vielbenutzten Runge-Kutta Verfahrens. Entwickelt man die Funktionen in diesen Näherungen für das Integral nach Potenzen von , so findet man mit und der Standardnotation für die partiellen Ableitungen der Funktion , so z.B.


die Resultate



Entwickelt man auf der anderen Seite den Integranden in dem Integral in (6.1) um die Stelle , so findet man mit



nach Integration und Auswertung der totalen Ableitungen die exakte Entwicklung



Die Entwicklungen von und stimmen mit dem exakten Resultat nur bis zur zweiten Ordnung in überein. Bildet man, wie zuerst von C. Runge (C. Runge, Mathematische Annalen, 46 (1895), S. 167) vorgeschlagen, die Kombination


so stimmt wenigstens der Vorfaktor der Terme in dritter Ordnung, es fehlen jedoch zwei Beiträge.

Die Übereinstimmung kann verbessert werden, wenn man die Form

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mit



in Betracht zieht. Entwicklung nach Potenzen von ergibt in diesem Fall



so dass nun die Kombination


bis zur dritten Ordnung mit der exakten Entwicklung übereinstimmt.

Die hier angedeutete Grundidee

wurde von W. Kutta aufgegriffen (W. Kutta, Z. für Mathematik und Physik, 46 (1901), S. 435). Sie stellt die Basis für eine Vielzahl klassischer und moderner Runge-Kutta Varianten dar (siehe Literaturverzeichnis, z.B. M. Abramovitz and I. Stegun).

Der vorgeschlagene Ansatz hat die Vorzüge, dass über die Festlegung von von ( ) möglichst günstige Zwischenpunkte in einem Intervall gewonnen werden und dass eine Richtung durch einen polygonalen Linienzug in schon berechneten Richtungen vom Ausgangspunkt aus bestimmt wird. Neben der Anpassung an die exakte Entwicklung wird die Forderung gestellt, dass jeder der Zwischenpunkte bis zur zweiten Ordnung auf der Tangente an die Integralkurve im Ausgangspunkt liegen soll, also durch


bestimmt ist, sowie


Eine häufig eingesetzte Runge-Kutta Formel stellt eine Näherung dar, die bis zur vierten Ordnung mit der exakten Entwicklung übereinstimmt. In vierter Ordnung ist die Berechnung von vier Funktionswerten notwendig. Der Vergleich mit der exakten Entwicklung und die Forderung an die vier Stützpunkte, liefert acht Bedingungsgleichungen für die zehn Parameter


Es können somit zwei Parameter frei gewählt werden. Der Parametersatz



führt auf Ergebnis


mit den Hilfsfunktionen



Für die einfachste Differentialgleichung mit der expliziten Lösung


gewinnt man wegen


die Simpsonformel zurück.




Die folgenden Punkte könnten diesen Abriss von Näherungsmethoden ergänzen. Für eine weitergehende Diskussion jedoch wird auf die einschlägige Literatur verwiesen.


< Mechanik     Mathematische Ergänzungen >       R. Dreizler   C. Lüdde     2008