4.2.2 Differentiation
Es geht hier um den Begriff der partiellen Ableitungen und ihrer
Anwendung, zunächst für den Fall einer Funktion von
zwei Variablen. Die Definition der partiellen Ableitung lautet in diesem
Fall:
Die Definition deutet an, dass partielle Differentiation aus rechentechnischer
Sicht nichts Neues bietet: Es wird jeweils nach der einen Variablen in
der üblichen Weise differenziert, während die andere Variable als
Konstante behandelt wird.
Einige Beispiele sollen die Technik erläutern:
Die geometrische Deutung der partiellen Ableitungen ist ebenso einfach.
Bei der partiellen Ableitung nach
betrachtet man den Schnitt der vorgegebenen
Fläche
mit der Ebene
const. (parallel zur
-
Ebene,
Abb. 4.6a).
Die partielle Ableitung beschreibt die Steigung der Schnittkurve in
dem Punkt
oder, kurz gesagt, den Anstieg der Fläche in diesem Punkt
in
-Richtung. Die Steigung der Tangente an die verschiedenen Schnittkurven
in verschiedenen Punkten ist wieder eine Funktion von
und
.
Die partielle Ableitung nach
beschreibt entsprechend
`die Steigung der Fläche` in
-Richtung (Abb. 4.6b).
Abbildung 4.6:
Die partiellen Ableitungen von
 |
Neben der partiellen Ableitung erster Ordnung kann man partielle
Ableitungen höherer Ordnung bilden. Im Fall von Funktionen von zwei Veränderlichen
gibt es vier partielle Ableitungen zweiter Ordnung
Die Reihenfolge der Indizes ist in der Literatur nicht standardisiert.
Hier wird die Verabredung benutzt: Es wird zuerst nach der Variablen abgeleitet,
die in der Kurzform (linke Spalte) und in der Standardschreibweise (rechte Spalte)
auf der rechten Seite steht. Für die obigen Beispiele erhält man
In allen drei Beispielen stimmen die gemischten partiellen Ableitungen
zweiter Ordnung überein. Dies führt natürlich zu der
Frage: Ist dies notwendigerweise so, bzw. müssen dafür bestimmte
Bedingungen erfüllt sein? Eine Antwort folgt in Kürze.
Für die partiellen Ableitung dritter Ordnung gibt es in dem Fall von
Funktionen von zwei Veränderlichen acht Möglichkeiten
Die Anzahl der möglichen Ableitungen wächst mit der Ordnung
wie
.
Die Erweiterung der Definition der partiellen Ableitungen erster Ordnung
für Funktionen von
Veränderlichen
ist nicht schwierig. Für eine Funktion von
Veränderlichen
existieren
verschiedene Ableitungen erster Ordnung. Die
Definition der entsprechenden Grenzwerte lautet
mit
.
Diese Definition legt wieder die Technik des partiellen Differenzierens
fest. Es ist nach einer der Variablen in gewohnter Form zu
differenzieren, alle anderen Variablen sind als Konstante zu betrachten.
Es gibt
partielle Ableitungen zweiter Ordnung
Ableitungen dritter Ordnung, etc.
Es folgt ein Beispiel mit einer Funktion von drei Variablen,
die in der theoretischen Physik oft benötigt wird. Es ist die Funktion
die den inversen Abstand eines Punktes von dem Koordinatenursprung beschreibt
(und in Polarkoordinaten eine einfache Form hat).
Die drei partiellen Ableitungen erster Ordnung sind
Es gibt neun partielle Ableitungen zweiter Ordnung
Die gemischten Ableitungen in zweiter Ordnung sind wieder unabhängig
von der Reihenfolge der partiellen Differentiation. Für die Summe der
doppelten Ableitungen nach den drei Variablen gilt
Man kann diese Aussage in der folgenden Weise umkehren. Die Funktion
wird durch eine Differentialgleichung der Form
bestimmt. Dies ist eine partielle Differentialgleichung, für die die Funktion
eine Partikulärlösung (d.h. keine allgemeine Lösung) ist
.
Die obige Kombination der partiellen Ableitungen sollte jedoch schon einmal
festgehalten werden, da sie an vielen Stellen der theoretischen Physik
(Elektrodynamik, Quantenmechanik) angetroffen wird. Man schreibt sie meist
in der Operatorform
und bezeichnet den Differentialoperator
als den Laplaceoperator. Die Differentialgleichung
bezeichnet man als die Laplacesche Differentialgleichung.
Es sieht zunächst nicht so aus, als ob zwischen der gewöhnlichen
Differentiation und der partiellen Differentiation ein wesentlicher
Unterschied besteht. Das ist nicht ganz der Fall, wie die folgenden Bemerkungen
andeuten.
- (a)
- Eine Funktion von zwei Variablen ist über dem
folgenden Gebiet definiert (Abb. 4.7)
Abbildung 4.7:
Partielle Ableitungen: Ein problematisches Grundgebiet
 |
Auch wenn die über diesem Gebiet definierte Funktion
`vernünftig` ist, existieren die partiellen Ableitungen in
dem Zwickelpunkt auf der
-Achse nicht. Die Umgebung des Punktes gehört nicht zu dem
Definitionsbereich und die Differentialquotienten können somit nicht
definiert werden. Die Tatsache, dass der Definitionsbereich ein Gebiet
ist, führt unter Umständen auf Besonderheiten.
- (b)
- Für Funktionen von einer Veränderlichen zeigt man: Aus der Existenz der Ableitung
an der Stelle
folgt die Stetigkeit der Funktion
an dieser Stelle.
Eine entsprechende Aussage ist im Fall mehrerer Variablen nicht möglich.
Im Fall von zwei Variablen nähert man sich bei der Bildung der
partiellen Ableitungen der fraglichen Stelle von zwei Richtungen. Dies
beinhaltet im Allgemeinen noch keine Aussage über eine Annäherung aus einer
beliebigen Richtung, die bei der Betrachtung der Stetigkeit
notwendig ist. Es existiert jedoch auch im Fall von Funktionen von mehreren
Veränderlichen ein (etwas komplizierterer) Zusammenhang zwischen Stetigkeit
und Differenzierbarkeit, der in dem Abschnitt über Richtungsableitungen
(Math.Kap. 4.2.3) kurz angesprochen wird.
Die Tatsache, dass die gemischten Ableitungen in allen Beispielen, die
betrachtet wurden, unabhängig von der Reihenfolge der Differentiation
das gleiche Resultat ergaben, wird durch den Satz von Schwarz erklärt.
In der Form einer hinreichenden Bedingung lautet dieser Satz:
Sind für eine Funktion
alle Ableitungen
-ter
Ordnung stetig, so sind die gemischten Ableitungen in dieser Ordnung
unabhängig von der Reihenfolge der Differentiation.
Es existieren verschärfte Varianten dieses Theorems, doch soll auf deren
Diskussion ebenso wie auf die Durchführung des Beweises der obigen Aussage
verzichtet werden. Eine Konsequenz des Theorems ist jedoch noch erwähnenswert.
Die Anzahl der unabhängigen, höheren Ableitungen wird
deutlich reduziert. Für eine Funktion von
Variablen gibt es z.B.
Ableitungen zweiter Ordnung anstatt
.
Die Tatsache, dass Ableitungen von Funktionen mit mehreren Veränderlichen über
einem Gebiet definiert sind, eröffnet die Möglichkeit, weitere Ableitungsvarianten
zu betrachten. Wichtige Begriffe in der Physik sind die Richtungsableitung und der
Gradient.
< Mechanik Mathematische Ergänzungen > R. Dreizler C. Lüdde 2008